Folia Theologica 14. (2003)

Zoltán Rokay: Der Prädestinationsstreit des 9. jh-s und die Gnadenfrage

146 Z. ROKAY Hrabanus ist sich dessen wohl bewußt, daß die Frage, in welcher er mit Gottschalk nicht einig ist, letztlich ein Mysterium ist. Wie kann es nämlich sein, daß der gerechte und barmherzige Gott eini­ge von der Sünde zurückhält, die anderen aber nicht? Auf diese Frage sind wir nicht imstande eine Antwort zu geben. So wie die Dinge, die im Menschen wohnen, nur die dem Menschen innewoh­nende Seele kennt, so kann die Sache Gottes nur der Geist Gottes kennen20. Hrabanus als Seelsorger erblickt den Ausweg in einer praktischen Betrachtungsweise: soweit es uns zusteht, ermutigen wir alle zu guten Werken, wir dürfen niemandem Anlaß zur Erbit­terung geben, wir sollen für einander beten. Wir sollen uns vor Gott demütigen und sagen: „Dein Wille geschehe."21 Hrabanus versteht es auch zwischen „accidens" und „essentia" zu unterscheiden. Seine philosophischen Kenntnisse bleiben hinter denjenigen von Gottschalk nicht zurück. Er kennt auch die Väter und die Tradition. Ein Passus, welchen Hinkmar von Reims aus einem an ihn ge­richteten Brief von Hrabanus zitiert, dürfte unserer Aufmerksam­keit nicht entgehen. Dort heißt es: „Insofern Euer Hochwürden ihn in seinen Distrikt wiederauf­nimmt, von wo er vorher unerlaubter Weise floh, so soll Euer Hoch­würden nicht dulden, daß er seine Irrlehre weiter lehrt und das christliche Volk verführt, denn wie wir hören, er hat viele irrege­führt, die weniger fromm über unsere Erlösung denken, indem sie sagen: was nützt es mir, wenn ich mich darum bemühe, Gott zu dienen? Wenn ich zum Tode vorherbestimmt bin, werde ich ihn nie umgehen; wenn ich aber das Böse tue und für das ewige Leben vor­herbestimmt bin, so werde ich ohne Zweifel zum ewigen Leben ge­langen."22 Es kann nicht nur für die Kirche, auch für das Reich 20 „Sicut nemo scit hominum quae sunt hominis, ni spiritus hominis qui est in ipso, ita et quae Dei sunt nemo scit, nisi Spiritus Dei (Rom XI,33).” (ebd. 1548) 21 „In quantum autem possumus, omnes homines ad bonum opus exhortemur, nulli desperationem demus, pro invicem oremus, in conspectu Dei nos humi­liemus dicentes: ‘Fiat voluntas tua’.” (ebd. 1553) 22 „Quatenus eum recludatis in vestra parochia unde primum inordinate recessit, et non sinatis eum cum amplius errorem docere, et seducere populum Chri­stianum, quia jam multos seductos, ut audivi, habet, et munus devotos erga suam salutem, qui dicunt, Quid mihi proderit laborare in servilio Dei? quia si

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