Folia Theologica 11. (2000)
Peter Henrici: Die Enzyklika zum dritten Jahrtausend. Fides et ratio
6 P. HENRICI Leser wohl vor allem gespannt ist, aus dem ganzen Grundanliegen der Enzyklika vielleicht etwas mühsam herausgelesen werden muss. Zunächst jedoch ein Bedenken: Fides et Ratio, Glaube und Vernunft: das ist doch eine ziemlich verengte, um nicht zu sagen einseitige Perspektive für einen Rückblick auf zweitausend Jahre Christentum - besonders, wenn dieses Begriffspaar dann noch auf das Verhältnis von Theologie und Philosophie konzentriert wird. Bei näherem Überlegen zeigt es sich jedoch bald, dass kaum ein anderes Begriffspaar die Dramatik der vergangenen zweitausend Jahre besser kennzeichnen könnte. Kaiser und Papst? -diese Zeiten sind vergangen. West und Ost, Nord und Süd? - die geographischkulturellen Dimensionen der Welt und die sich daraus ergebenden Spannungen kamen uns erst seit fünfhundert oder allenfalls tausend Jahren langsam zum bewusstsein. Fortschritt und Bewahrung? - auch die Fortschrittsidee ist noch keine fünfhundert Jahre alt. Glaube und Vernunft dagegen stehen sich seit den ersten Jahrzehnten des Christentums gegenüber und interagieren. Aus dieser Interaktion, so darf man ohne Übertreibung sagen, hat sich die ganze europäische Geistesgeschichte ergeben. Diese Geschichte ist zwischen den beiden Gegenpolen Glaube und Vernunft - dem Anspruch und dem Angebot Gottes an die Menschheit und dem, was sich die Menschheit aus eigenem Wissen und in eigener Verantwortung über ihr Schicksal und ihre Ziele zurechtlegen kann, keineswegs immer friedlich und selbstverständlich, sondern oft spannungsgeladen, ja feindselig verlaufen. Darum möchte ich den historischen Rückblick des Papstes als ein Drama lesen, ein klassisches Drama mit seinen fünf Akten. Sie werden es dabei einem alten Philosophiehistoriker nachsehen, wenn er nicht einfach den Papst referiert und dabei längst Bekanntes wiederholt. Ich werde mir vielmehr erlauben, da und dort den päpstlichen Rückblick kommentierend zu erweitern. I. Der erste Akt dieses Dramas, in der klassischen Dramentheorie „Exposition” genannt, reicht in die Urzeit des Christentums hinab. Paulus muss in Athen, auf dem Areopag, seine Botschaft vor Hörern verkünden, die nicht mehr, wie in den Städten Kleinasiens, gläubige Juden waren. Dort kannte man das Gesetz und die Propheten auswendig; in Athen dagegen traf Paulus auf Menschen, deren Weltanschauung von den Lehren epikureischer und stoischer Philosophen geprägt war. „Einige von den epikureischen und stoischen Philosophen”, erzählt die Apostelgeschich