Folia Theologica 9. (1998)

Karl-Josef Rauber: Mit der Kirche in die Zukunft unter der Führung des heiligen Geistes

MIT DER KIRCHE IN DIE ZUKUNFT 17 Eine auch inhaltlich begründete, gemeinsam gelebte Identität im Glauben wird sich in der Zukunft nur dann bewahren lassen, wenn sie sich auf allgemein akzeptierte und aktiv mitgetragene Strukturen der Konsensfindung und -feststellung stützen kann. Sonst werden das institu­tionelle Lehramt und auch das synodale Element (Konzil, Bischofs­synode, Diözesansynode, Räte) in der Kirche für immer mehr Gläubige zu Fremdkörpern, die dann nur den amtskirchlichen, nicht aber den Com- munio-Charakter der Kirche verstärken. Die Bereitschaft, die Strukturen zur Konfliktbewältigung und zur Konsensfindung ständig zu verbessern, bietet darum ein gutes Kriterium, um den geistlichen Dienst des Identi- fizierens von einem geistlosen Konservieren zu unterscheiden. Denn die identifizierende Kraft des Heiligen Geistes erweist sich auch in den kirchlichen Institutionen darin, daß diese im Dienst des Evangeliums sich angstfrei den neuen geschichtlichen Situationen stellen und in ihnen die jeweils angemessene Identität im gemeinsamen Glauben finden. Eine bloß konservierende Mentalität innerhalb der kirchlichen Institutionen verharrt demgegenüber unbeweglich auf dem Immer-schon-Gewesenen und läßt dadurch das Evangelium gerade nicht in der veränderten geschichtlichen Situation seine heilende, eben diese Situation betref­fende Wirkung entfalten. Bei den einzelnen Gläubigen kommt es darauf an, daß dieser Glau­benssinn aktiviert und lebendig gehalten wird. Dies ist nicht allein Aufgabe des kirchlichen Lehramtes, sondern ergibt sich auch aus der Verantwortung der Gläubigen dem Evangelium und der Führung durch den Geist Gottes gegenüber. Der Dienst des kirchlichen Lehramtes in der oben charakterisierten Form wird eben nur dann ermöglicht, wenn, diese Verantwortung in der Haltung des Gehorsams wahrgenommen wird. Glaube und Gehorsam sind untrennbare Begriffe, wie es uns der hl. Pau­los im Römerbrief am Beispiel Abrahams vor Augen stellt. Am Ende meiner Darlegungen angelangt, möchte ich an uns alle die Bitte richten, daß wir mit wachen Augen die heutige kirchliche Situation verfolgen. Manches, was zunächst als Schwierigkeit und als Krise er­scheint, darf uns auf gar keinen Fall entmutigen, sondern wir müssen vielmehr in diesen Zeichen der Zeit den Finger des Heiligen Geistes erkennen, der ja die Kirche niemals verläßt, sondern uns führt — “Du Finger Gottes, der uns führt” — An uns liegt es, uns vertrauensvoll die­ser Führung zu überlassen, nicht im Sinne des untätigen Sichtreibenlas­sens, sondern im Sinne einer noch tieferen Identifizierung mit der

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