Folia Theologica 7. (1996)

Stanislav Zvolenský: Der "dolus" nach dem kanonischen Eherecht

92 S. ZVOLENSKŸ wollen wir die konkrete Berücksichtigung des Dolus-Phänomens in der kirchlichen Gesetzgebung, besonders in Bezug auf die Ehe, suchen. Die Kirche entschied sich, dem juristischen Kodex-Denken Rechnung zu tra­gen36. Darum beginnen wir unseren Weg mit dem ersten kirchlichen Ko­dex vom Jahre 1917. 2.1. Der ungenügende Rechtsschutz gegen die arglistige Täuschung im CIC 1917 Jedes Recht muß irgendwie daran interessiert sein, den, welcher in gutem Glauben handelt, vor den Folgen eines schwerwiegenden Irrtums und erst recht vor den verhängnisvollen Auswirkungen einer arglistigen Täuschung zu bewahren. In seiner generellen Regelung bietet das kirchliche Gesetzbuch an sich einen relativ weiteren Rechtsschutz bei Irrtum und arglistiger Täu­schung. So macht nach Kanon 10437 jeder error substantialis ein ab­geschlossenes Rechtsgeschäft ohne weiteres zunichte; und bei einem error non-substantialis wäre die Rechtshandlung zwar gültig, sie könnte aber, falls aus einem Vertrag ein erheblicher Schaden erwachsen wäre, angefochten und durch richterliches Urteil aufgehoben werden. Noch großzügiger scheint die Sicherung gegen arglistige Täu­schung38. Man sieht also als Regel vor, daß eine arglistig erschlichene Rechtshandlung in jedem Fall, also nicht nur bei erheblichem Schaden, ebenso mit der Aufhebungsklage (actio rescissoria) angegriffen und durch gerichtliches Urteil nachträglich vernichtet werden kann. Die Rechtsfigur der Aufhebungsklage ist im kanonischen Recht so konstruiert, daß die Rechtshandlung an sich zunächst wirksam ist, dann aber hernach 36 Constitutio Apostolica Benedicti PP. XV Providentissima Mater Ecclesia, 27. Maii 1917: „... idem fei. rec. Decessor Noster,... consilium iniit universas Ecclesiae leges, ... lucido ordine digestas in unum colligendi...” zitiert aus: CODEX IURIS CANONICI Pii X Pontificis Maximi iussu digestus Benedicti Papae XV auctorita­te promulgatus, Roma 1919. 37 Kanon 104 im CIC 1917: Error actum irritum reddit, si versetur circa id quod constituit substantiam actus vel recidat in conditionem sine qua non; secus actus valet, nisi aliud iure caveatur; sed in contractibus error locum dare potest actioni rescissoriae ad normam iuris. 38 Kanon 103 § 2 CIC 1917 lautet: Actus positi ex metu gravi et iniuste incusso vel ex dolo, valent, nisi aliud iure caveatur; sed possunt ad normam can. 1684-1689 per iudicis sententiam rescindi, sive ad petitionem partis laesae sive ex officio.

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