Folia Theologica 7. (1996)

Stanislav Zvolenský: Der "dolus" nach dem kanonischen Eherecht

DER „DOLUS” NACH DEM KANONISCHEN EHERECHT 87 Ein dolus causam dans liegt vor, wenn er den Willen des Handelnden derart beeinflußt, daß dieser im Falle des Fehlens der Beeinflussung den Vertrag nicht eingegangen wäre. Ein dolus incidens kann die Ursache da­für sein, daß der Vertrag gerade unter diesen und nicht anderen Umstän­den zustandegekommen ist. Ohne ihn wäre das Rechtsgeschäft gleichfalls vorgenommen worden, vielleicht oder sehr wahrscheinlich un­ter anderen Bedingungen (niedrigerer Kaufpreis, andere Zahlungsbedin­gungen usw.). In der Literatur findet man anstelle dolus causam dans oft die Bezeichnung dolus principalis. Beide Ausdrücke meinen die für den Vertragsabschluß maßgebliche Ursache.18 1.2. Die Kanonisten 1.2.1. Rezeption der römischen Rechtsprinzipien Die biblischen Quellen sprechen vom dolus eigentlich immer nur als moraltheologischer Kategorie. Die Fortsetzung dieser Denkart läßt sich bei den Kirchenvätern aufzeigen. Augustinus, der größte unter den latei­nischen Kirchenvätern (+430), spricht oftmals in seinen sermones vom dolus, worunter auch er ein Synonum von Lüge versteht.19 Gleichermaßen finden wir bei Isidor von Sevilla (+633) eine klassi­sche Definition des dolus, aber gerade aus moral-theologischer Sicht.20 Die alte Gewohnheit, den kanonischen Sammlungen die Sammlungen des römischen Rechtes anzuschließen21, bereitete den Weg dafür, daß die besten römischen Rechtsprinzipien nach und nach in die kanonistischen Texte durchsickerten. Die Rezeption der Regelungen des dolus bezüglich des Abschlusses von Rechtsgeschäften nach dem Römischen Recht hat ins Decretum Gra­tiani (1140), wie auch in die Arbeit der Dekretglosse und Dekretisten nur fragmentarisch Eingang gefunden. Was klar übernommen worden ist, ist 18 Vgl. STEIDL H„ Die Theorie..., 79. 19 „Quid enim aliud est loqui dolum, nisi aliud promere cum aliud claudatur in pec­tore?” „Dolus ergo quid est? Quando aliud agitur aliud simulatur.” S. Augustinus, Sermones, XVI, 4, Migne, PL 38, 123; IV, 23, Migne, PL 38, 45 20 „Dolus animo fit insidiae loco, sive telo, fraus circa fidem mutuam.” S. Isidor von Sevilla, De differentiis verborum, I, 143, Migne, PL 83, 25. 21 STANKIEWICZ A., Institutiones iuris romani, (ad usum privatum auditorum) Ro­ma 1989, 5.

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