Folia Theologica 6. (1995)
Ádám Somorjai O.S.B.: Geburtenbeschränkung in Bauernfamilien
GEBURTENBESCHRÄNKUNG 201 Die meisten Bearbeitungen beziehen sich auf dieses Modell Ormánság, das hier von uns überprüft werden soll. Die Ausmaße der Geburtenbeschränkung waren so bedeutend, daß sie auf das demographische Verhalten des ganzen Landes einen Einfluß ausgeübt haben, und das bisherige Bild über die demographische Transition in Europa durch die Annahme eines dritten, des ungarischen bzw. südosteuropäischen Typs ergänzt werden mußte. Das ergab sich dadurch, daß das historische Ungarn sich in der Scheidelinie der beiden europäischen Großräume West und Ost befand, wo wesentliche demographische Charakteristika, die die Bevölkerungweise grundsätzlich beeinflussen, untereinander unterscheiden: zunächst in der Heiratshäufigkeit und im Heiratsalter, aber wohl noch in der Sterblichkeit. Die Regionen innerhalb Ungarns, die sich als Zentren des Einkindsystems erwiesen haben, lagen an dieser imaginären Scheidelinie zwischen Petersburg-Triest. Ein demographisches Spezifikum dieser Einkindszentren ist es, daß das kontrazeptive Verhalten in diesen vorindustriellen Gesellschaften innerhalb der Ehe aufgetreten ist, wobei das Heiratsalter niedrig, die Heiratshäufigkeit dagegen sehr hoch war, und es in der Regel kaum Zölibatäre gab. Auf Landesebene waren zwei demographische Strategien entwickelt, eine sogenannte passive — die Geburtenbeschränkung — und eine aktive: die Auswanderung des Bevölkerungüberschusses. Durch die Untersuchung der Mechanismen der Vermittlung bzw. der Träger des kontrazeptiven Verhaltens und dessen Ausbreitung konnte festgestellt werden, daß diese Gesellschaften struktureigene, sich aus ihrem Entwicklungsgrad ergebende Vermittler und Träger gekannt haben, und keine besondere Einflüsse von Außen in Anspruch nehmen mußten. Dasselbe ließ sich bei den angewandten Praktiken beobachten. Kindstötung, Abtreibung, Empfängnisverhütung, in wenigeren Fällen Sterilisierung sind in zahlreichen Aufzeichnungen und Untersuchungen wohl zu belegen. Dabei wurde eine spezielle Ideologie der Geburtenbeschränkung entwickelt, um eine immer mehr zur Sozialnorm gewordene Praxis zu rechtfertigen. Das Ergebnis war logischerweise eine Einbuße, sogar eine totale Auflösung und ein totaler Schwund der Gesellschaft, ein totaler Verlust der psychischen und kulturellen Identität. Dagegen konnte nichts einge