Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)
Sacra theologia
INTERPRETATIONSMÖGLICHKEITEN DES VERHÄLTNISSES... 97 Der Begriff des philosophischen Glaubens ist einer der Grundbegriffe der Existenzphilosophie von Jaspers. Der philosofische Glaube ist von grundlegender Bedeutung, weil er sich in erster Linie mit dem Selbstsein des Menschen befasst und eine notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung des Selbstseins ist. Jaspers’ Begriff des philosophischen Glaubens hat eine sehr spezifische existenzielle Bedeutung und ist daher nicht immer leicht mit dem christlichen Glauben zu vergleichen. Für Jaspers ist der Glaube die Haltung und das Engagement des Menschen für das, was über das hinausgeht, was objektiv bekannt ist. Er argumentiert, dass der philosophische Glaube persönlich und eng mit der existentiellen Erfahrung verbunden ist. Mit anderen Worten: Die Wahrheit des Glaubens ist eine Frage des persönlichen Engagements. Für Jaspers ist der Glaube unmittelbar, im Gegensatz zu allem, was durch den Verstand vermittelt wird47. Er erinnert daran, dass der religiöse Glaube, der sich auf die Offenbarung stützt, durch die Schrift, die Institutionen und den Klerus vermittelt wird, während der wichtigste Begriff des philosophischen Glaubens die Freiheit ist, die gerade die Gewissheit und den Schutz leugnet, den die Religionen dem Einzelnen bieten sollen48. So könnte man also seinen Einwand gegen den religiösen Glauben zusammenfassen. Angesichts all dessen ist es interessant, mit dem Gedanken zu spielen, welche Konsequenzen Jaspers’ mögliche persönliche Gotteserfahrung für sein philosophisches Denken gehabt hätte. Wie ich bereits erwähnt habe, wurde die Aufgabe der Philosophie durch das Bild des Meeres wahrgenommen. Pater Jérőme (1907-1985), Mönch der Trappistenabtei Sept-Fons in Frankreich, schreibt in seinem Buch Monastische Schriften: „Die Stille erinnert mich an die große Welle im Ozean, die das Schiffchen auf unbekanntes Land treibt und es dann dort an einem gefürchteten Ufer zurücklässt, wo allein die Gegenwart des Unendlichen herrscht”49. Er verwendet also das Bild des Meeres. Ohne nach rationalen Argumenten zu suchen, sollten wir dieses Bild einen Moment lang auf uns wirken lassen. Bei der Betrachtung des Meeres scheinen der philosophische Glaube und die christliche Glaubenserfahrung gar nicht so weit auseinander zu liegen. 47 Vgl. Weidmann, B., Philosophischer Glaube nach Karl Jaspers, in Enders, M. (Hrsg.), Philosophischer Glaube und christlicher Offenbarungsglaube, Nordhausen 2022. 19-22. 48 Vgl. Peach, R, Reflections on Philosophical Faith and Faith in the Twenty-First Century, in Wautischer, H. - Olson, A. M. - Walters, G. J. (ed.), Philosophical Faith and the Future of Humanity, Dordrecht - Heidelberg - London - New York 2012. 254-255. 49 Zitiert von Sarah, R. - Diát, N., Kraft der Stille. Gegen eine Diktatur des Lärms, Regensburg 2017, Nr. 68.