Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)

Sacra theologia

94 LÁSZLÓ GÁJER Jaspers näherte sich im Laufe seines Lebenswerks immer mehr einer Art Theismus an, aber Gott erscheint in seinen Texten meist als Transzendenz, jenseits der Welt. Die Existenz Gottes kann nicht festgestellt werden, seine Existenz kann nicht bewiesen werden, aber die Annahme seiner Existenz ist eine Voraussetzung für das Philosophieren selbst. Das absolute Erfordernis in diesem Zusammenhang, in der Beziehung zu Gott, ist die Grundlage des Han­­delns. Die Vergänglichkeit der Welt besteht darin, dass, obwohl alles, was wir wissen, zur Welt gehört, die Welt als Ganzes nie zum Gegenstand unserer Er­kenntnis wird. In der Welt begegnen sich das Ewige und das Zeitliche, das heißt das Existenzielle und das Transzendente30. Diese Begegnung ist zeitlich an die Welt gebunden, und wir haben keine direkte Kenntnis von Gott und der Existenz. Sie bleiben in der Schwebe des Nichtbewusstseins31. Der Verzicht auf den philosophischen Glauben würde jedoch bedeuten, dass es keinen Gott gibt, sondern nur die Welt, und somit wäre die Welt selbst Gott. In diesem Fall gäbe es kein absolutes Erfordernis, sondern nur Gewohnheit und Konvention, und alles in der Welt wäre unbeständig, während die Welt selbst ewig wäre und nicht eine vorübergehende, vergängliche Existenz32. Der Sprung, den der philosophische Glaube macht, ist letztlich eine Entscheidung, eine freie Entscheidung des Menschen. IV. Philosophie und Religion „Kirchlich autoritäre Denkart hat die selbstständige Philosophie verworfen, weil sie von Gott entferne, zur Weltlichkeit verführe, mit Nichtigem die Seele verderbe. Die politisch-totalitäre Denkart erhob den Vorwurf: die Philosophen hätten die Welt nur verschieden interpretiert, es komme aber darauf an, sie zu verändern“.33 Diese Beschreibung gibt einen guten Eindruck von Jaspers’ Abneigung gegen totalisierende politische Tendenzen34, aber auch von seinen Einwänden gegen kirchliche Autorität. Er kritisierte nicht die kirchliche Haltung einer bestimm­ten historischen Periode, sondern ein Verhalten im Allgemeinen. Jaspers’ Ein­wand lautete, dass diese Haltung zum Ausdruck kommt, wenn das Christen­tum Exklusivität beansprucht und sich für die einzig wahre Religion hält35. 30 Vgl. Jaspers, K., Philosophie, 254. Peach, R, Death, 'Deathlessness’ and Existenz in Karl Jaspers’ Philosophy, Edinburgh 2008. 151-154. 31 Vgl. Jaspers, K., Die philosophische Glaube, 33. 32 Ibid. 33. 33 Jaspers, K., Einführung in die Philosophie, 16 34 Siehe hierzu z. B. Jaspers, K., Schuldfrage - Von der politischen Hoffnung Deutschlands, Hei­delberg 1946. und Jaspers, K., Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, München 1958. 35 Vgl. Jaspers, K., Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, 83-85.

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