Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)

Sacra theologia

72 MARKUS ENDERS fehlen kann. Insbesondere in dieser Erkenntnis der dreieinigen Liebe als der eigentümlichen Seinsweise Gottes liegt daher der spezifisch christliche Bei­trag zur Bestimmung des Gottesbegriffs. Während die Thora (vgl. Dtn 6,5) und später auch der Koran9 Gott als Einen in der Bedeutung von sowohl seins­mäßig einfach als auch einzig bezeichnen, nennt folglich das Neue Testament Gott ausdrücklich die Liebe (vgl. 1 Joh 4,16).10 Dessen wesenhafte Einheit und dessen Einzigkeit werden vom christlichen Gottesbegriff dabei bereits vo­rausgesetzt - so wie das Neue Testament das aus christlicher Sicht Erste bzw. Alte Testament konstitutiv voraussetzt.11 Dabei ist der christliche Glaube an eine trinitarische Einheit Gottes im neutestamentlichen Bekenntnis zu Gott als dem Wesen reiner Liebe zwar schon implizit grundgelegt, wird aber ausdrü­cklich erst in der frühchristlichen Theologiegeschichte entfaltet. 1. Zur Synthese zwischen dem antik-metaphysischen und dem christlichen Gottesverständnis in der Patristik Die Aufgabe einer Entfaltung des eigenen christlichen Gottesverständnisses in Auseinandersetzung mit und Verhältnisbestimmung zu den verschiedenen Gottesbegriffen vor allem der antiken Philosophie und des Judentums be­schäftigte die Gotteslehre insbesondere der griechischen Patristik. Eingang in das christliche Gottesverständnis fanden dabei grundlegende Gottesattribute der metaphysischen Gotteslehre, und zwar insbesondere der platonisch-aka­demischen sowie der mittel- und neuplatonischen, ferner der aristotelischen und auch der stoischen Gotteslehre wie die Attribute der Einfachheit und Un­bewegtheit sowie der Unveränderlichkeit des Wesens, der ort- und raumfreien Allgegenwart und damit der Unbegrenzbarkeit des Seins, ferner der Unend­lichkeit des hervorbringenden Vermögens (Allmacht), der zeitfreien Ewigkeit, der Transzendenz und Immanenz, der reinen Aktualität und damit der Unstoff­lichkeit und Leidensfreiheit, des (vollkommenen) Geistbesitzes und damit der absoluten Wahrheit, der Allwissenheit einschließlich der Vorsehung, der Be­9 Das Bekenntnis zum Monotheismus und zur Einheit Gottes ist ein zentrales Anliegen des Ko­rans, vgl. Koran 2,163.255; 3,2.6.18; 4,87 u. öfter (Der Koran. Vollständig und neu übersetzt von Ahmad Miiad Karimi. Mit einer Einfiihrung herausgegeben von Bernhard Uhde, Freiburg- Basel-Wien 2009). 10 Zur Deutung insbesondere dieser Stelle (vgl. auch Eph 3,19) als eine Wesensaussage Gottes vgl. von Balthasar, H. U., Glaubhaft ist nur Liebe, Einsiedeln 2019.8 84; vgl. auch Schnacken­­burg, R., Die Johannesbriefe (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, XIII/3), Freiburg-Basel-Wien 2002. 244f. Weil das Wesen der Liebe, die alle (geschaffene) Erkenntniskraft übertrifft, der trinitarische Gott selbst ist, entspricht ihm von allen geschöpfli­­chen Handlungs- und Verhaltensweisen auch am meisten die Liebe, ist das Gebot der Gottes­und der Nächstenliebe das höchste und wichtigste aller christlichen Gebote, vgl. Mk 12,28 ff. 11 Zur Einzigkeit Gottes im Neuen Testament, vgl. auch Mt 19,17 und Mk 12,28 f.

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