Folia Theologica et Canonica 7. 29/21 (2018)
Sacra theologia
DER DIALOG VON PHILOSOPHIE UND THEOLOGIE... 97 Welt selbst und in das begriffliche Universum einführt, welches voll von Bedeutung und Herrlichkeit ist, die Welt ordnet und gegebenenfalls rettet. Die Liebe interpretiert nicht anhand einer Ideologie und nicht als Ideologie, da sie der Welt größere und gewaltigere Wirklichkeit leiht, als welche die Welt sich selbst zuschreibt.37 Nun zeigt Balthasars Vorstellung über die christliche Philosophie in dieselbe Richtung, wenn er über die neue Sichtweise spricht, welche die Vernunft bezüglich der Welt durch den Glauben erleuchtet erhält und sagt, dass: „die durch den Glauben erleuchtete Vernunft Dinge der natürlichen Welt zu erkennen vermag, die eine dieses Lichtes entbehrende, seiner durch Sünde sogar beraubte und in sich geschwächte und verdunkelte Vernunft notwendig übersehen oder nur verzerrt erkennen wird.”3“ Balthasar stellt seine eigene philosophische Denkweise konsequent in die Perspektive der Liebe, um auf dem Gebiet philosophischer Forschung Erscheinungen auf neue Weise wahrzunehmen und zu interpretieren, in der natürlichen Ordnung neue Erscheinungen zu finden. Solche neue Phänomene sind: Singularität, Endlichkeit, Geschichtlichkeit des Seienden als Positivum; Würde der unwiederholbaren Person. Im Lichte der Liebe erfahren die ontologische Differenz und die transzendentalen Eigenschaften des Seins eine neue Interpretation. Die Philosophie Balthasars ist die christliche Philosophie der positiv erfassten Singularität und Endlichkeit, des Personseins, der Differenz und der Transzendentalien. Sie ist eine Philosophie, da sie die phänomenologische Beschreibung und metaphysische Auslegung der Erscheinungen durchführt, die in der Welt zu erfahren sind - eine christliche, da sie die Erscheinungen im Lichte des theologischen Apriori der Liebe wahmimmt und auslegt. Balthasar beantwortet die Frage, „Was sind die Aufgaben der christlichen Philosophie?“ mit Folgerungen, die der Antwort auf die Frage nach dem eigenartigen Gegenstandsbereich der christlichen Philosophie zu ziehen sind. Verfügt die christliche Philosophie über ein eigenes theologisches Apriori, muss der Christ das originäre, selbständige Denken wagen,39 wenn er sich zu den verschiedenen philosophischen Systemen verhält. Er darf weder der Versuchung der unkritischen Identifikation, noch dem in sich kehrenden Abkapseln nachgeben. Den Kirchenvätern folgend hat er eine doppelte Aufgabe vor sich: „die Kunst der Aufsprengung aller endlichen, philosophischen Wahrheit zu Christus hin, und die Kunst der klärenden Transposition”.40 Der christliche Denker vermag aber nur dann die philosophischen Ideen auf Christus hin zu öffnen, wenn er sich selbst kontinuierlich für die Wahrheit Christi öffnet, für die Wahrheit 37 Marion, J-L., Christian Philosophy: Hermeneutic or Heuristic?, in Ambrosio, F. J. (ed.), The Question of Christian Philosophy Today, New York 1999. 247-264; hier: 261. 38 KathPhil 15. 39 KathPhil 7-12, 22. 40 KathPhil 23.