Folia Theologica et Canonica, Supplementum (2016)
Géza Kuminetz, Aktualitdt der thomistischen Staatsidee
144 GÉZA KUMINETZ Unter einer Idee sind hier dér Ursprung. das Wesen, das Ziel und die Wohlta- ten einer Sache, einer Wirklichkeit, namentlich des Staates zu verstehen. Die Staatsidee von Thomas von Aquin stammt aus dér von dem katholisch-christli- chen Glauben kommenden Weltanschauung, sie kann also zu den sakralen Rechts- und Staatsordnungen gezàhlt werden. Die verschiedenen Staatsideen spiegeln unterschiedliche philosophische Auffassungen und Weltanschauun- gen wider, und das kann auch nicht anderswie sein. Dér Mensch schatzt unver- meidlich, er sieht, analysiert und baut die Realitat (die Welt, sich selbst und die Gottheit) unausbleiblich von einem Gesichtspunkt aus auf. Sogar die Weltanschauung der Neutralitat bedeutet eine eigenartige Auffassungsweise, die, wie das das lateinische Wort neuter, -a, -um bezeichnet, keine von den beiden, das heisst eine dritte ist. Die thomistische Staatsidee wurde durch die Bibel auf entscheidende Weise beeinflusst, und sie ist durch sie auch noch heute durch- drungen. hauptsachlich dér Geist und die Gesinnung des Neuen Testaments. Wir könnten auch sagen, dass die thomistische Staatsidee die sich auf die Heili- ge Schrift beziehenden Erklürungen zusammenfasst und systematisch erörtert, anhand von philosophischen Begriffen, mindestens so, wie sie von der Katholi- schen Kirche ausgelegt werden. Heute gibt es keine totalitaren Staaten mehr, oder vielleicht nur stellenweise, trotzdem lebt der Mensch im Staat und vor allém in der Konsumgesellschaft vielleicht in einem noch grösseren Bedrohtsein (obwohl er nicht in unmittel- barer und standiger Lebensgefahr steht), als vor einem halben Jahrhundert diejenigen. die gezwungen waren, in einem totalitaren Staat zu leben und zu sterben.1 Nach Tamás Molnár ist der Grund dafiir die Krise der Machtgriin1 Wie gross die Zerstörung des totalitaren Systems war, sollen hier als Beispiel einige Zeilen zitiert werden: „Die totalitaren Herrschaften des Faschismus (Nationalsozialismus) und des Bolschevis- mus „bereicherten” die Staatsentwicklung des 20. Jahrhundertes mit einer bis dahin unbekannten und höchstens auf intellektuellem, aber nicht auf affektivem Wege verarbeitbaren politischen Erfahrung. Das Totalitarismus rief mit der Zerstörung der Institutionen der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaates von liberalem Ursprung eine Art von politischer Machts- und Herrschaftsiibung ins Leben, die beziiglich der Art und Weise, der Struktur und Wirkung ihrer Institutionierung wesentlich von den bisher bekannten traditionellen despotischen, tyrannischen und diktatorischen Formen der politischen Macht abweicht. Und zwar darum, weil keine der ge- schichtlich unterschiedlichen Verwirklichungsformen der autokratisch-diktatorischen Herrschaft versuchen hatte, die im gegebenen Land gültige politische, rechtliche und moralische Traditionen vollkommen zu vernichten, und keine grundstiirzend neue Wertsysteme und politische Institutionen gründete, abgesehen von den Konzentrationslagern, die die Menschenausrottung mit einer rationalen Berechenbarkeit durchführten.” Siehe: Cs. Kiss, L., Totalitárius uralom - totális állam [Totalitare Herrschaft - totaler Staat], in Takács, P. (Hrsg.), Államelmélet. Előadások az államelmélet és az állambölcsészet köréből [Staatstheorie. Vortrage aus dem Bereich der Staatstheorie und der Staatsphilosophie] (Prudentia iuris 8.), Miskolc 1997. 141. Sehr treffend ist auch der fol- gende Zitát: „Ein totalitárer Staat (...) muss den folgenden Voraussetzungen entsprechen: ein Leiter, eine alies umfassende „Heilideologie”, ein Einparteienstaat, eine zentralisierte Wirtschaft, ein massenhafter psychologischer und physischer Terror und das Bewegen beziehungsweise voll- kommene Beherrschen der Medien”. Vgl. In Hamersfeeld Van, M. - Klinkhamer, M., Könyörtelen messianizmus [Gnadenloses Messianismus], Budapest 1998. 62.