Folia Theologica et Canonica 4. 26/18 (2015)
SACRA THEOLOGIA - Krisztián Vincze, Die Realität und die würde des Leidens in der Philosophie von Simone Weil
113 DIE REALITÄT UND DIE WÜRDE DES LEIDENS... und fern ist, bewahrheitet sich das Gott-Sein Christi. Gott ist Gott, da seine Liebe unendlich ist, da er sich herablässt und seine Herablassung ihn bis zum Äußersten, zu den tiefsten Abgründen führt. Jesus Christus durchquert in seinem Tod die dunkelsten Welten, schließlich lässt er sich auf den dunkelsten Bereich des Leibes und der Hölle herab. Danach sind das Böse und das Unglück nicht mehr fremde Körper in der göttlichen Oikonomie, sondern sie werden in der Bewegungslosigkeit des Kreuzes gefestigt. Dieses Kreuz ist „jenseits aller menschlichen Erwartungen“, dieses Kreuz macht „die zänkischen Sterbenden betroffen uns sprachlos“35. Zu diesem totalen Unglück war nur die unbegrenzte Liebe Christi fähig. Das Verstummen Christi, seine Sprachlosigkeit, seine geschlossene Lippen sind das Verstummen Gottes. Ans Kreuz genagelt und leidend entfernte sich das Wort Gottes von sich selbst so weit wie möglich, da am Kreuz selbst das Wort still wurde. „Die Kreuzigung war die größte Entfernung zwischen Gott und Gott, sie war die tiefste Auseinandergerissenheit, sie war der Schmerz, der keinen gleichen hat, sie war das Wunder der Liebe.“36 III. Kurze Reflexion Karl Rahner bemerkte einmal, heutzutage gäbe es nur ein einziges ernstes Argument gegen die Existenz Gottes, nämlich das Faktum des Leidens. Ferner meint Rahner, dass „die Unbegreiflichkeit des Leidens ein Teil der Unbegreiflichkeit Gottes ist“. Es ist kein Zufall, dass in der philosophischen und in der theologischen Reflexion dem Leiden große Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es werden wahrscheinliche Erklärungen für das Leiden gegeben und Versuche unternommen aus den diesbezüglichen Aporien herauszukommen. In diesen Reflexionsversuchen sind alle Gedanken wichtig, die uns wenigstens einen kleinen Schritt im Verständnis des Leidens voranbringen. Simone Weils Gedanken können mit Gedanken vieler Theologen parallelisiert werden. Wenn sie über das Leiden Christi spricht, dann erinnert sie uns an den leidenden Christus von Jürgen Moltmann oder von Eberhard Jüngel. Wenn sie behauptet, das Leiden und seine Gründe seien eine Notwendigkeit, so fällt uns Pierre Teilhard de Chardin ein, für den das Leiden ein notwendiges, unausweichliches Nebenprodukt der Evolution, eine unabänderliche Konsequenz der materiellen Vorgänge darstellt. Die Sichtweise von Simone Weil bezüglich des Leidens als universales Phänomen lässt uns auch an die Behauptung von Edward Schillebeeckx denken, wonach die ganze menschliche Geschichte die Ökumene des Leidens ist. Diese gedanklichen Ähnlichkeiten, die hier natürlich nur oberflächliche schlag35 Tilliette, X., Philosophische Christologie, 271. 36 Tilliette, X., Philosophische Christologie, 271.