Folia Theologica et Canonica 4. 26/18 (2015)

SACRA THEOLOGIA - Krisztián Vincze, Die Realität und die würde des Leidens in der Philosophie von Simone Weil

KRISZTIÁN VINCZE 1 10 in unserer Welt durch den Leib auftreten. Unser Leib ist die Sphäre, durch die man seine Endlichkeit, Begrenztheit und sein Geschöpfs-Sein erlebt. Durch den Leib erfährt man die zwischen dem Menschen und Gott bestehende Entfer­nung. Das Leiden hat immer sein Hier und sein Jetzt, die man nicht zurücklas­sen kann. Eben durch seinen Leib dringt nämlich in jeden der Raum und die Zeit ein, die gleichsam als Beißzange ihn auch zu zerreißen fähig sind. In sol­chen Fällen erkennt der Mensch, dass er nur Geschöpf und nichts Anderes ist. Da der Mensch Geschöpf ist, ist er in allen Fällen zum Tode verurteilt. Der Tod wischt nach sich alles weg, er lässt keine Spur des menschlichen Wesens hinter sich. So wird der menschliche Leib der äußerste Punkt der zwischen dem Men­schen und Gott stehenden ontologischen Entfernung. Dass Gott auf der Erde nicht vollkommen präsent sein kann, ist durch den Leib verursacht. Er ist eine uns von Gott trennende Mauer, die uns hindert, an der Vollkommenheit der Transzendenz teilzunehmen. Der folgende Gedanke von Simone Weil liefert aber eine wichtige Ergänzung: Der Leib ist nicht nur das Medium der Entfer­nung, sondern zugleich Raum für die Vermittlung zwischen Gott und Men­schen.27 28 Einzig und allein der Leib - als Raum der Entfernung von Gott und als Medium der Verlassenheit und des Leidens - erlaubt, dass der Mensch an die Transzendenz denkt! Der Leib ist demnach nicht nur eine Mauer, sondern gleich­zeitig auch Mittel der Annäherung zwischen Gott und Menschen, der Offenheit auf die Transzendenz, da eben die Leiblichkeit die Menschwerdung des Gottes­sohnes ermöglichte und die menschliche Leiblichkeit Christus, den Gottessohn als Gast empfangen konnte. Schöpfung und Menschwerdung drücken zusam­men Gottes Verzicht auf die Macht aus. Dazu gehört auch die Passion Christi - in diesen Ereignissen ist man Zeuge der göttlichen Verhaltensweise, die in der Zurückgezogenheit besteht. 5. Zusammenhang von Leiden, Mitleid und Dekreation Man muss das Leiden in Zusammenhang mit dem Begriff der Dekreation se­hen, welche die Suspendierung des sündigen Egos bedeutet. Der Mensch als autonomes Seiendes hat sein Sein Gott zu verdanken, aber dieses autonome Sein ist zugleich auch der menschliche sündige Zustand. In der Schöpfung ge­währte Gott dem Menschen auch die Willensfreiheit, die in sich auch die Auto­nomie birgt.21* „Der autonome Seinsstatus des Menschen ist die Existenz. Die Existenz muss durch die Dekreation zum Sein zurückgeführt werden, welches Kennzei­27 Vgl. Lupo, R. M„ Creazione e decreazione, 88-101. 28 Vgl. Vető, M., Simone, 31.

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