Folia Theologica et Canonica 2. 24/16 (2013)

SACRA THEOLOGIA - Attila Puskás, Traditionsauslegung am Konzil von Trient

88 ATTILA PUSKAS Quelle, der die Kirche ihre Glaubens- und Sittenlehre zu entnehmen hat, noch mehr, ihr ganzes Leben. Dieser Begriff des Evangeliums ist letztendlich mit dem Begriff christozentrischer göttlicher Offenbarung, bzw. dem des Heil­wortes Gottes gleichwertig. Der Wortgebrauch des Konzils im Singular ist der Erbe der Terminologie sowohl neutestamentlicher, wie patristischer und zu­gleich mittelalterlicher Theologie. Origenes nennt Christus das Fleisch gewor­dene Evangelium im evidenten Sinne und alle Taten des Heilands Evangelium im Johannes-Kommentar.27 Irenaus spricht über ein einziges Evangelium in vier verschiedenen Formen eingeschrieben vom Heiligen Geist in das Herz der Apostel.28 Thomas von Aquin lehrte das Gesetz des Evangeliums.29 Jenseits der Anknüpfung an den Wortgebrauch der Bibel und der mündlichen Tradition spielt das Konzil mit dem Evangelium im Singular offensichtlich an den Vor­satz der Reformatoren an. Luther gebrauchte das Wort Evangelium im Singular im Sinne von Paulus und verstand darunter die frohe Botschaft der Rechtferti­gung aus Gnade, durch Glauben und des Sündenerlasses, im Gegensatz zu den Taten des alttestamentlichen Gesetzes. Das Augsburger Bekenntnis bediente sich des Wortes Evangelium ebenso und konsequent in diesem Sinne.30 Spricht das Konzilsdekret darüber, dass die Kirche die Reinheit des Evangeliums auf­bewahren muss, eignet es sich den Vorsatz der Reformatoren an. Das Triden- tinum formuliert Dekrete in Sachen des Glaubens und der Sitte eben mit der Absicht, durch Ausfiltern der Irrlehren die Reinheit des Evangeliums durch­zusetzen. Das Konzil ist auch darin mit Luther einig, dass das Evangelium Christi, das Erlösungswerk des Fleisch gewordenen und Heil bringenden Wortes Gottes die einzige und vollständige Quelle jeder Lehre und des Lebens der Kirche ist. Das Konzil bekennt sich in diesem Sinne zum Prinzip „solum evangélium“, nicht aber zum Leitspruch „sola scriptum“.31 Die zweite Aussage der oben zitierten Textstelle im Dekret Sacrosancta besagt, dass „diese Wahrheit und Disziplin“ (hanc veritatem et disciplinam) Inhalt der aus der einzigen Quelle des Evangeliums „geschriebenen Bücher und ungeschriebenen Traditionen ist (contineri in libris scriptis et sine scripto traditionibus).” Das Konzil lehrt, dass die heilbringende Wahrheit und Sitten­regel aus der einzigen Quelle des Evangeliums uns durch zweierlei Vermitt­lung erreicht, auf zwei verschiedenen Wegen uns zugänglich ist: Auf dem We­ge der schriftlichen biblischen Texte und dem nicht schriftlichen der Tradition. Der Aussage des Dekrets nach gibt es neben den kanonischen Schriften Tradi­tionen, die das einzige Evangelium bezeugen und vermitteln. Wie werden diese 27 Comm. s. Joh. I, VI, 33. 28 Adversus haereses, 111,4,2. 29 STh II-n, 106, prol. 30 CA V, 2-3; XII,5; XV,4 usw. 31 Sesboüé, B. - Theobald, Ch., Storia dei dogmi, IV: La parola della salvezza XVI-XX secolo, 126.

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