Folia Theologica et Canonica 2. 24/16 (2013)
SACRA THEOLOGIA - Zoltán Rokay, Die „Religionsphilosophie” Johann-Gottlieb Fichtes. Ihre Hintergründe und ihre Aktualität
128 ZOLTÁN ROKAY Vieles kommt auch darauf an, was man unter Transzendentalphilosophie versteht. Sie ist nicht unbedingt identisch mit der transzendentalen Methode von Maréchal und seiner Schule. Wenn man sie als pendent der existentialen Interpretation (und damit des Entmythologisierungprogramms) von Bultmann versteht, als die zwei Richtungen welche das theologische Feld im XX. Jahrhundert in Westeuropa beherrscht haben,120 so soll man sich auch mit den Fehlern der ersteren im klaren sein, und die Vorwürfe (oder mindestens die Kritik) welche die Anwendung der transzendentalen Methode innerhalb der Theologie erfährt, versuchen daher zu verstehen: nämlich dass man zuweilen den Eindruck hat (zu Recht, oder zu Unrecht) dass das objektive Sein (Gottes) im subjektiven Bewusstsein (des denkenden und handelnden Ich) aufgelöst, oder mit ihm restlos identifiziert wird. Man muss Reinhard Lauth zustimmen, dass eine Interpretation, welche aus Fichte einen Held des Nationalsozialismus macht makaber ist.121 Diese Interpretation geistert bis zum heutigen Tag herum, mit der Bemerkung, Fichtes Reden an die deutsche Nation seien eine Erniedrigung der Religion.122 Diesbezüglich sollte man darauf aufmerksam machen, was einigen „sarkastischen” Fichte-Interpreten offensichtlich entgangen ist, dass ihn auch die kommunistische Diktatur der ehemaligen, sogenannten „D.D.R.” für sich in Anspruch nahm, und ihn geehrt hat. Dass Fichte zu kuriosen Interpretationen in seinen Reden an die deutsche Nation und verwandten Manifestationen Anlass gegeben hat, und wer aus ideologischen Gründen Anlass gesucht hat, auch finden konnte, wird niemand leugnen. Dass Hegel in Napoleon beim Einmarsch seiner Truppen die Erscheinung des absoluten Geistes erkannt hat, wird wohl niemanden wundem. Aber es gibt Beispiele auch unter der evangelischen Geistlichkeit, die von einem anderen „Patriotismus” zeugen als Fichte. Ich denke an Pastor Diederich Biederstedt (1762-1824) von Greifswald, der in einer Predigt, in einem Dankgottesdienst, anlässlich des Einmarschs Napoleons in Moskau, am 4. Oktober 1812 folgendes gesagt hat (in der Anwesenheit der französische Militärdeputation): „Es ist ein großes, ein ewig denkwürdiges Ereignis, was uns mit einander in dieser Stunde versammelt, es ist der am vierzehnten September dieses Jahres um die dritte Stunde des Nachmittags erfolgte sieggekrönte Einzug des ersten Helden der Zeit, des Kaisers Napoleon, in die große Kaiserstadt des Russischen Reiches (...) Im Heiligtum der Vorsehung haben wir uns versammelt, als überzeugte Gottes120 Yg] Darlap, A., Zur Rekonstruktion der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts, in Zeitschrift für Katholische Theologie 107 (1985) 377-384. Wagner, S. F., Zur Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, in Theologische Rundschau 53 (1988) 2. 113-200. 121 Lauth, R., Die Bedeitung, 261. 122 Vgl. Manfred Kühn, Johann Gottlieb Fichte. Ein deutscher Philosoph. 1762-1814. Biographie. C. H. Beck, München. 2012. S. 573.