Folia Theologica et Canonica 2. 24/16 (2013)

SACRA THEOLOGIA - Zoltán Rokay, Die „Religionsphilosophie” Johann-Gottlieb Fichtes. Ihre Hintergründe und ihre Aktualität

110 ZOLTÁN ROKAY Trotz der Richtigkeit des „Systems”, kann es zu unerwünschten Reaktionen kommen, welche auch Fichte zugesteht: „Dennoch kann es gewisse Augenblicke geben, wo das Herz sich an der Spekula­tion rächt; wo es sich zu dem als unmittelbar anerkannten Gotte mit heisser Sehnsucht wendet, als ob eines Individuums wegen seinen Plan ändern werde: wo die Empfindung eines sichtbaren Hülfe, einer fast unwidersprechlichen Gebets- Erhörung das ganze System zerrüttet - und wenn das Gefühl des Missfallens Got­tes an der Sünde allgemein ist - wo eine dringende Sehnsucht nach einer Versöh­nung entsteht.”52 Empfindung, Gefühl, Herz meldet sich auch auf folgender Stelle als Gegensatz zum Verstand und Demonstration: „Die ersten Grundsätze der Religion gründen sich mehr auf Empfindungen, als auf Überzeugungen: auf das Bedürfnis, sich mit Gott zu bereinigen; auf das Gefühl seines Sündenelendes und seiner Strafbarkeit, usw. Die christliche Religion scheint also mehr für das Herz bestimmt, als für den Verstand; sie will sich nicht durch Demonstration aufdringen, sie will aus Bedürfnis gesucht sein; sie scheint eine Religion guter und simpler Seelen. Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken: Ich bin gekommen die Sünder zur Busse zu rufen. Daher die Dunkelheit, die sie umschwebt und umschweben solle; daher dass sehr mögliche Mittel einer dringenden Überzeugung, z.B. die Erscheinung Jesu vor der ganzen jüdischen Nation nach seiner Auferstehung, das begehrte Zeichen vom Himmel u. dgl. nicht angewendet werde.”53 Fichte, der hier im allgemeinen und einzelnen nicht allzuweit über die „Reli­gionsphilosophie” von Spinoza, bzw. Lessing hinausgeht, und in eine Richtung der Pädagogik weist, charakterisiert auch dementsprechend die Gestalt Jesu: „Jesu werden auch diejenigen Eigenschaften zugeschrieben, die das Herz des Menschen in seinem Gotte sucht, ohne dass sein Verstand in ihm findet: Mittlei­den, herzliche Freundschaft, Beweglichkeit.”54 Sucht Fichte eine „Annahme” der Existenz Gottes in dem „radikal Bösen” im Menschen, so weicht er darin von Kant nicht ab. Sonst lässt es Fichte nicht zu. Hier baut Fichte gerade darauf sein ganzes Indigenz-argument: 52 GA II, 1. 291 f. 53 GA II, 1. 288f. 54 Ebd. 287.

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