Folia Theologica et Canonica 1. 23/15 (2012)

IUS CANONICUM - Joseph Gehr, Die Förderung der affektiven Reife in der Seminarausbildung. Eine unerlässliche Voraussetzung zur Vorbereitung auf das zölibatäre Leben des Priesters

DIE FÖRDERUNG DER AFFEKTIVEN REIFE IN DER SEMINARAUSBILDUNG 243 tin, Koffein und Alkohol nieder, in der Fähigkeit, den Appetit zu zügeln, nicht wählerisch zu sein, und Gebets- und Studierzeiten einzuhalten und effektiv zu nutzen. Die Formung der Gefühlsreife wird durch weitere Faktoren begünstigt, die das Wirken der übernatürlichen Gnade unterstützen. Das Leben in der Seminar­gemeinschaft spielt eine wesentliche Rolle. „Eine echte Zölibatserziehung muss fest im Geist der Brüderlichkeit verwurzelt sein. Ein aktives brüderliches Ge­meinschaftsleben, reich an menschlicher und übernatürlicher Wärme, erzeugt bei allen, die daran teilnehmen, ein Gefühl der Entspannung, Ausgeglichenheit und tiefer Befriedigung. Es macht sozusagen immun gegen die Versuchung, sich auswärts affektive Kompensation zu verschaffen, und verhindert oder macht es doch viel schwerer, dass ein Zustand der Selbstbemitleidung eintritt wegen der Verzichte, die man durch die Wahl des Zölibats auf sich genommen hat“61. In diesem Zusammenhang sei das spielerische Element als formender Akzent erwähnt. Dieses kann auf verschiedenen Ebenen zum Tragen kommen, sei es kulturell in der Form des Theaters, sei es sportlich auf dem Fußballplatz. Der seelische und körperliche Ausgleich darf für die Fähigkeit, zölibatär zu le­ben, nicht unterschätzt werden, ebenso wenig der Faktor einer gesunden ab­wechslungsreichen Ernährung und eines ausreichenden Schlafes. „Der Priester ist berufen, in der Welt zu arbeiten, sie zu verstehen, sie auf­zunehmen, aber zugleich in ihr seine Sendung zu erfüllen, die ihn von ihr un­terscheidet“62. Er muss sich mehr als der christliche Laie darüber klar sein, dass er in der Welt lebt, aber nicht von dieser Welt ist (vgl. Joh 17,9-19). Das zi­tierte johanneische Axiom impliziert keine Weltflucht. Vielmehr ist der Jünger Jesu Christi in die Welt hinein gesandt, um sie in seinem Geist zu gestalten. Das kann nur gelingen, wenn er die Gesetzmäßigkeiten der Welt nicht verin­nerlicht, sondern sie durchschaut und sich von ihnen nicht vereinnahmen lässt. Zur Förderung einer gesunden Distanz zur Welt in dem beschriebenen Sinne, hat die Kirche besonders den Priestern verschiedene Beschränkungen auferlegt (vgl. cann. 285-289 CIC). In diesem Zusammenhang geht es sicher auch da­rum, naheliegende Gelegenheiten zur Sünde zu meiden und die eigene Psyche, die eigene Beeindruckbarkeit und den eigenen Körper nicht Situationen syste­matisch und wiederholt auszuliefern, die unweigerlich die vollkommene Ent­haltsamkeit um des Himmelreiches willen viel schwieriger machen63. Daher ist es stets unerlässlich, die Absichten zu reinigen, die Bedeutung von Begegnun­gen und Situationen zu klären und nicht das zu suchen, was eine instinkthafte Verhaltensweise fördert, die der zentralen Ausrichtung des Lebens des Geweih­61 Kongregation Unterrichtswesen, Leitgedanken, Nr. 71,69. 62 Kongregation Unterrichtswesen, Leitgedanken, Nr. 87, 83. 63 Vgl. Piacenza, M„ La formazione affettiva al sacro celibato, 28.

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