Folia Theologica et Canonica 1. 23/15 (2012)
SACRA THEOLOGIA - Géza Kuminetz, Die Tugend des Gehorsams als Grundlage des klerischen das Heißt des kanonischen Gehorsams
20 GÉZA KUMINETZ der jedoch durch das Wort dem Glauben entdeckt wird. Durch diesen Gehorsam wird dem Menschen möglich sein, sein Leben in den Dienst Gottes zu stellen und die Freude zu finden”.2 Der Gehorsam ist jedoch eine Frucht der freien Entscheidung,3 eine Äußerung weise der verantwortungsvollen Lebensführung.4 Das Erwerben der Gesinnung des Gehorsams das heißt das Erkämpfen der Tugend des Gehorsams ist für jeden Menschen, jeden Christgläubigen und auf besondere Weise für jeden Kleriker beziehungsweise Ordensmann von grundlegender Bedeutung, weil ohne ihn sogar die schönsten apostolischen Pläne un- verwirklicht bleiben,5 ohne ihn beinahe jede andere Tugend verkümmert ist, infolgedessen bleiben wir unreife Individuen, das heißt unser Charakter befestigt sich nicht auf eine entsprechende Weise. Im Falle der Kleriker bringt diese Eigenschaft auch die Gefahr mit sich, dass ein Blinder dem anderen den Weg weisen wird. Das bezieht sich sowohl auf die persönliche Seelenführung als auch auf die sehbare Organisierung und Leitung der Gemeinschaft. Zur gleichen Zeit ist die Entstehung, Formung der Tugend und des künstlerischen Grads vom Befehlen sowie vom Gehorsam eine Frucht von langjähriger Erziehung und Selbsterziehung. Was diesem heiklen Thema eine besondere Aktualität bietet, ist es, was schon Papst Benedikt XV. im Jahre 1914 mit seiner Rede Ad beatissimi umriss, dessen Wesen János Scheffler auf folgende Weise zusammenfasste: „Der Mensch von heute erträgt um sich selbst keine Grenzen, erkennt über sich keine Macht. Vor ihm ist nichts groß und nichts heilig genug; göttliche und menschliche Autorität tritt er in gleicher Weise mit den Füssen. Von dieser autonomistischen Gesinnung stammt (...) die Verachtung der Gesetze, der Aufruhr der Massen und die unverschämte Verachtung von all dem, was Befehl ist; das lähmt die Disziplin und verursacht die unzähligen Verbrechen. Und was noch zu bedauern ist, dass dieser Geist nicht einmal die Diener der Kirche unberührt lässt“.6 Dieser vor einem Jahrhundert geschriebene Lagebericht bezieht sich noch viel mehr auf unsere Tage als auf die damalige Zeit. Gerade deshalb müsste die Hochachtung des klerischen Gehorsams wiederhergestellt werden, wofür Untergebene und Vorgesetzte in gleicher Weise viel tun sollen. Einheit in der Mannigfaltigkeit ist durch die Wiederentdeckung und Anerkennung der Autorität 2 Vgl. Aufrain, Ch. - Guillet, J., Engedelmesség [Gehorsam], in Léon-Dufour, X. (red.), Biblikus Teológiai Szótár [Biblisches Theologisches Wörterbuch], Róma 1976. 313. 3 Diese freie Entscheidung bedeutet zwei verschiedene Begriffe und der Gehorsam bezieht sich auf beide, namentlich auf optio fundamentalis und optio specialis seu actualis. 4 Vgl. Gatti, G., Ubbidienza, in Rossi, L. - Valsecchi, A. (a cura di), Dizionario enciclopedico di teológia morale, Roma 1974. 1185. 5 Wenn sie jedoch auch verwirklicht werden, sind sie nicht mehr die Früchte der gehorsamen Gesinnung, sie haben also einen geringen Wert im Auge des Herrn und derjenigen, die mit dem Auge des Herrn sehen. 6 Vgl. Sceffler, J., A világi papok kánoni engedelmessége [Der kanonische Gehorsam der Weltkleriker], in Religio 75 (1916) 8.