Folia Canonica 6. (2003)

STUDIES - Peter Landau: Seelsorge in den Kanonessammlungen von der Zeit der gregorianischen Reform bis zu Gratian

60 PETER LANDAU sind es besonders sechs Kapitel, in denen Fragen der Seelsorge berührt werden. Sie sind hauptsächlich den Werken des Heiligen Hieronymus und den diesem Kirchenvater fälschlich zugeschriebenen Texten entnommen. Der wohl wichtigste Text dieses Hieronymus-Florilegiums ist Ans. 7.113." Anselm rezipiert hier ein Kapitel des angeblichen Briefs des Hieronymus an Bi­schof Rusticus von Narbonne, des Briefs ,de septem ordinibus ecclesiae1. Der Brief ist wohl ein Produkt aus der westgotischen Kirche des 6. Jahrhunderts11 12 und wird zuerst in der Kanonessammlung Epitome Hispana verwendet.13 An­selm von Lucca dient er als Grundnorm für Rechte und Pflichten der Priester. Der Grundgedanke bei Pseudo-Hieronymus ist, dass sich aus der Vollmacht der Priester bei der Eucharistie auch ihr Recht zur Predigt ergebe: “Presbyteri dupli­ci honore honorentur, maxime qui laborant in verbo Dei predicare eos decet.“14 Aus der Konsekration des Leibes Christi ergebe sich das Recht des Priesters, auch das Volk segnen zu können. Die Bischöfe könnten die Vollmachten nicht willkürlich festlegen, da den Priestern unentziehbare Rechte von Christus selbst gewährt seien.15 Anselm stellt den Pseudo-Hieronymus-Text unter die Rubrik “Quod presbyteri qui corpus Christi perficiunt etiam populum benedicere ac pre­dicare possunt.“16 Mit dem Recht des Priesters zur Predigt und Segnung des Vol­kes ist hier der Kern der Seelsorge umschrieben. Anselm ergänzt das Kapitel über die Grundrechte des Priesters durch ein Fragment aus dem Kommentar des Hieronymus zum Matthäusevangelium, und zwar zum berühmten Wort Jesu in Cäsarea Philippi über die Verleihung der Schlüsselgewalt an Petrus.17 Hieronymus sah in der Schlüsselgewalt entspre­chend seiner Tendenz der Gleichsetzung von Bischofs- und Priesterweihe eine Vollmacht für beide Weihegrade.18 Anselm übernimmt den Kommentar des Hie­11 ANSELM, Collectio (Fn. 10), 7.113, 410s. l2Cf. E. Dekkers, Clavis Patrum Latinorum, 3a ed. Steenbrugis 1995, 260s. (no. 764). Ferner cf. die grundlegende Studie von R. REYNOLDS, The Pseudo-Hieronymian 'De septem ordinibus ecclesiae ', in Revue Bénédictine 80 (1970) 238-252 mit Hinweisen auf eine Datie­rung in das 6. Jahrhundert, 243, n.2. 11 So bereits F. Maaben, Geschichte der Quellen und der Literatur des canonischen Rechts, Graz 1870, rist. 1956,661; ausführlich jetzt Reynolds, The Pseudo (Fn. 12) 242s. 14 Anselm, Collectio (Fn. 10) 15 Anselm, Collectio (Fn. 10): „Etiam obvianti mihi ista sic dicam, qui non vult presbyte­ros facere quod iubetur a Deo, dicat qui maior est Christo, aut quid poterit corpori eius aut san­guini eius anteponi? Si presbyter Christum consecrat, cum in altario Dei sacramenta benedi­cit, benedicere populum non debet, quia Christum meruit consecrare?” 16 Anselm, Collectio (Fn. 10), ibidem. 17 ANSELM, Collectio (Fn. 10), 7.115, 412s. 18 Hieronymus vertrat in seinem Kommentar zum Titusbrief und in seinem Brief an den Presbyter Evangelus die Lehre, dass im Neuen T estament Bischof und Presbyter dasselbe sei­en; cfr.Hieronymus in epistolam ad Titum 1.5, P.L. vol. 26, col. 562: „Idem est ergo presbyter

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