Folia Canonica 6. (2003)

STUDIES - Peter Landau: Seelsorge in den Kanonessammlungen von der Zeit der gregorianischen Reform bis zu Gratian

64 PETER LANDAU Die beiden weiteren Kapitel dieses Polycarp-Abschnittes enthalten eine Ermah­nung zur Sorgfalt bei der Predigt wie bei der Spendung der Sakramente41 und die Anordnung eines angeblichen karthagischen Konzils zur Anwesenheitspflicht während des Gottesdienstes, in Wahrheit c.31 der Statuta ecclesiae antiqua.42 Beide Texte berühren damit das Recht der Seelsorge nur am Rande. Jedoch ist im Polycarp noch ein weiterer einschlägiger Text zur Seelsorge enthalten, und zwar in dem den Mönchen und Nonnen gewidmeten Titel „De monachis et sanctimonialibus“.43 Hier bringt die Sammlung einen angeblichen Kanon des Konzils von Nicäa, in dem die Aufgaben der Mönche umschrieben werden.44 Kein Mönch habe eine Kompetenz zur Auferlegung der Busse ausserhalb des Klosters und zum Begräbnis Verstorbener.45 Damit wird in diesem Kanon den Mönchen für bestimmte Bereiche das Recht auf Seelsorge abgesprochen. Der Kanon gehört in den grossen Zusammenhang der Auseinandersetzungen zwi­schen Mönchen, Regularkanonikem und Weltgeistlichen um das Recht auf Seelsorge zwischen 1050 und 1150, ein Kampf, der im kanonischen Recht hauptsächlich mit Fälschungsprodukten ausgetragen wurde.46 Die Fälschungen hatten in der Kanonistik nach 1100 ausserordentlichen Erfolg und gelangten im wesentlichen in Gratians Dekret in C. 16, q. 1, so dass sie dann zum ius commune im kanonischen Recht gehörten. Mit diesen gefälschten Rechtstexten will ich mich im zweiten Teil dieses Vortrags befassen. 41 Pol. 3.22.3 (fol. 88rb-va): „Augustinus. Quanta sollicitudine observamus, quando vobis corpus Christi ministratur, ut nihil ex ipso de nostris manibus in terram cadat. Tanta sollicitu­dine observemus, ne verbum Dei quod nobis erogatur, dum aliud autem cogitamus aut loqui­mur, de corde nostro depereat, quia non minus reus erit, qui verbum Dei negligenter audierit, quam ille, qui corpus Christi negligentia sua cadere permiserit.” Der Text wird von Horst, ibidem als nicht identifiziert bezeichnet,stammt jedoch aus Senno 78.2 des Caesarius von Ar­les und wurde von Gratian in C. 1, q. 1, c.94 rezipiert. Zur Herkunft des Kapitels cf. G. Motta, Nuove identificazioni nella collezione canonica detta Polycarpus, in Aevum LVII (1983) 232-244, hier 237 (no. 10). 42 Pol. 3.22.4 = Statuta ecclesiae antiqua c.31, Ch. Munier (ed.), Les Statuta ecclesiae anti­qua (Bibliothèque de l’Institut de Droit canonique de l’Université de Strasbourg V), Paris 1960, 85. Das c.31 wird in Pol. 3.22.4 ohne Veränderung mit Ausnahme einer Wortumstel­lung ‘in ecclesia verbum’ statt ‘verbum in ecclesia’ rezipiert. 43Pol. 4.35. 44 Pol. 4.35.24, f. 115rb. „Placuit residentibus in sancta nicena sinodo, ut monachorum con­versatio et vita secundum ethimologiam nominis ab omnibus discrepetur. Monachus enim grece, latine dicitur unus. Unde monachum per omnia singulariter vivere, agere oportet.” 45 Pol. Ibidem. „Quamobrem firmiter precipimus, ut aliquis monachus nemini penitentiam tribuat, nisi invicem, mortuum non sepeliat, nisi monachum, secus in monasterio commoran­tem vel fortuitu quemquam (m.s. quamquam) advenientium fratrum ibi moriendum, quia per omnia interdictum est, non alios sepelire mortuos, nisi tantummodo illos familiares qui infra claustra sunt septi. Sin aliter facere presumpserit, canonum sententiis subiacebit.” Cfr. die Textabweichungen in C. 16, q. 1, c. 1. 46 Zu diesen Fragen grundlegend Ch. Dereine, Art. ‘Chanoines Dictionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques 12 (1953) 353-405.

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