Folia Canonica 4. (2001)

STUDIES - Helmut Pree: Nichtterritoriale Strukturen der hierarchischen Kirchenverfassung

24 HELMUTH PREE Die Faktoren, welche diese Entwicklung prägen, sind vielfältig. Ich versuche sie in zwei Gruppen zusammenzufassen: die Mobilität der Menschen als gesell­schaftliche Wirklichkeit. Sie betrifft die Migrationsphänomene im großen, aber auch die territorial flexible Lebensgestaltung im kleinen (Trennung von Woh­nung, Arbeitsplatz und Freizeitbeschäftigung) sowie das geistesgeschichtlich­kulturelle Phänomen der Individualisierung im Kontext der Pluralisierung aller Lebensbereiche einschließlich der religiösen Dimension des Menschen. Beide Gruppen von Faktoren wirken u.a. dahin, dass im rechtlichen wie im persönli­chen Leben das Moment einer persönlichen Bindung (sei es an den Lebensstand wie die Ehe, sei es an ein bestimmtes Territorium) schwindet. Beide Gruppen von Faktoren werden durch die moderne Informations-, Kommunikations- und Verkehrstechnik wesentlich gefördert; beide führen dazu, dass im Zusammen­leben der Menschen der territoriale Faktor zusehends an Bedeutung verliert. Auf das Leben und die Organisation der Kirche kann dies nicht ohne Auswirkung bleiben, zumal die Seelsorge stets primär an den Bedürfnissen der Gläubigen orientiert war und zu sein hat. Die Grenzen der Pfarreien und der Bistümer werden zusehends durchlässiger; aus Charismen erwachsende personal be­stimmte Gemeinschaften (z. B. movimenti, consociationes) treten mit vermehr­ter Häufigkeit auf und scheinen die Tendenz in sich zu bergen, dass sich das eigentliche, geisterfüllte Leben kirchlicher Gemeinde von den als starr empfun­denen territorialen Einheiten weg in diese neuen personal bestimmten hinein­verlagert; Eklektizismus im Umgang mit den Anforderungen der Religion und Kirche (sog. „Auswahlchristentum”) und frei gewählte Selbstbestimmung im Religiösen erfassen immer mehr Aspekte kirchlichen Lebens; je schwächer die Bindung der Gläubigen an ihr Territorium, desto weniger treffsicher wird die Ausübung kirchlicher Autorität und die Organisation der ordentlichen Seelsor­ge­Diese hier nur kurz angedeutete Wirklichkeit verlangt ein Neuüberdenken und eine Neubewertung des Elementes der Territorialität im Verhältnis zu den personalen Gliederungsmöglichkeiten der Kirche, und zwar aus theologischer wie aus kanonistischer Perspektive. II. II. Territorialität und Personalität: Ihre ekklesiologische und KIRCHENRECHTLICHE BEDEUTUNG AUS DER PERSPEKTIVE DES VAT II 1. In der Ekklesiologie des Vat II Vat II lässt eine markante Akzent- und Bedeutungsverschiebung des Terri­torialitätsprinzips für die Verfassungsstruktur der Kirche, namentlich auf der Ebene der Teilkirche und der Pfarrei erkennen. J. Hervada spricht von einer

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