Folia Canonica 3. (2000)

STUDIES - Peter Landau: Die Canones Apostolorum im Abendländischen Kirchenrecht, insbesondere bei Gratian

38 PETER LANDAU wurde von Gratian wohl deshalb übergangen, weil er sinngemäß denselben Rechtssatz bereits aus c.4 des Konzils von Nicäa rezipiert hatte.61 Die Auswahl Gratians scheint nicht zufällig gewesen zu sein. Jedenfalls wurde durch ihn ein erheblicher Teil der Apostelkanones auch für das kanonische Recht des zweiten Jahrtausends zur Rechtsquelle. Auf die Kommentierung der Apostelkanones in der kanonistischen Wissen­schaft nach Gratian kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Es sei aber darauf hingewiesen, dass das wissenschaftliche Interesse an diesen alt­kirchlichen Rechtstexten im Zeitalter des Humanismus neu belebt wurde. Die erste Edition des griechischen Urtexts aller 85 Apostelkanones erfolgte 1521 in Wittenberg durch Philipp Melanchthon, der die Kanones im Kolleg behandelte - seine bald verschollene Edition war eine Art Vorlesungsskriptum.62 63 Der Nürnberger Humanist Gregor Haloander£3 übersetzte die inzwischen im We­sten im griechischen Urtext bekannt gewordenen vollständigen 85 Kanones ins Lateinische.64 Haloanders Übersetzung fand großes Interesse auch bei den 61 Canones apostolorum c.l ist rezipiert bei Anselm von Lucca 6.32. Gratian bringt can.4 von Nicäa in D.64, c.l.; die ursprüngliche Fassung des Kanons findet sich in J. Alberigo (ed.), Conciliorum Oecumenicorum Decreta, Bologna 31972, 7. 62 Die verschollene Edition Melanchthons wurde von dem bedeutenden russischen Kanonisten Beneszewicz wiederentdeckt - cf. W. Beneszewicz, Melanchthoniana. Ein Beitrag zur Literar- geschichte des byzantinischen Rechts in Westeuropa 1521—1560 (Sitzungsber. Bay- er.Ak.d.Wiss.,Phil.-hist.Abt.Jg.l934, H.7), München 1934. Bei Beneszewicz 55 f. auch ein Abdruck der interessanten an Spalatin gerichteten Vorrede Melanchthons mit folgenden Sätzen: “Porro est in his aliquam priscae Ecclesiae umbram cernere,quicumque tandem sint auctores. Quare putavi dignos esse quos publicarem...certe pleraque pie constituta hic invenies,quae impie mutarunt novis legibus pontifices nostri. Neque vero hos canones in hoc propono, ut pro sacrosanctis habeantur.” Der Grundgedanke Melanchthons bei der Edition scheint zu sein, in der Frühkirche einen Maßstab für die protestantische Kirchenverfassung zu finden. 63 Zu Haloander cf R. von STINT22NG—E. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechts­wissenschaft, Bd. I, München-Leipzig 1880,180-203; ferner G. Kisch, Haloander - Studien, in Ders., Gestalten und Probleme aus Humanismus und Jurisprudenz, Berlin 1969,199-240, der allerdings nur die Frage von Haloanders Geburtsjahr behandelt. 64 Das Interesse Haloanders an den Canones apostolorum beruhte wohl hauptsächlich darauf, dass man in Justinians Novelle 6 eine Bestätigung der Kanones zu finden glaubte. Deshalb edierte Haloander die 85 Kanones im griechischen Urtext im Anhang zu seiner Novellenausgabe 1531 und versah sie mit einer lateinischen Übersetzung. Beneszewicz, Melanchthoniana (Anm.62), 47-54 konnte den Nachweis führen, dass Haloander sich bei seiner Edition ausschließlich auf Melanchthon stützte und nur aufgrund einer Rücküberset­zung von Dionysius Exiguus ins Griechische einige vermeintliche Emendationen bietet. Haloanders Vorrede, in der der Nürnberger die Apostolizität der Kanones vertritt, bei Beneszewicz 26. Aufgrund der katholisch klingenden Vorrede konnte Haloanders Edition und Übersetzung von den Editoren des Corpus Iuris Canonici rezipiert werden. Zu Haloan­ders Ausgabe cf. auch H. E. Troje, Graeca leguntur (Forsch.z.Neueren Privatrechtsgesch. 18), Köln-Wien 1971, 195-200. Nach Troje (199) ist Haloanders Edition ein geschickt geführter Angriff auf Dogmen und Praktiken der lateinischen Kirche. Trojes Begründung, dass es sich bei Haloanders Edition um ein getarntes kirchenpolitischen Manifest handle, kann nicht überzeugen. Er führt dafür c.6 und c.28 der Kanones an - beide sind bereits bei Gratian

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