Circulares litterae dioecesanae a 16-a maji-31-am decembris 1867. ad clerum archi-dioecesis strigoniensis dimissae a principe primate regni Hungariae et archi-episcopo Joanne Simor

Joannes Simor

11 reichbegabtesten Geist, bewahrt ihn im Glauben vor den Verirrungen der ausschweifenden Vernunft, und bietet dennoch dem tiefsinnigsten Forscher ein unermessliches Gebiet, wäh­rend sie sich zugleich der Fassungskraft des Kindes anschmiegt, und jeden Grad von Bildung befriedigt und erhöht, in welcher die unsterbliche Seele nicht durch die unnatürliche Ge­walt im Banne des unseligen Scheintodes gehalten wird. Darum hat es der Menschengeist erkannt, dass die Lehre Christi für ihn ein unabweisbares Bediirfniss; in dunkler Ahnung hat er es gefühlt, dass er die eigentliche Wohnstätte sei, aus welcher diese Lehre vor un­vordenklicher Zeit durch eine unnennbare Schuld vertrieben worden: die Wonne der ersten Liebe Gott zu kennen, und vor seinem Angesichte zu wandeln erwacht wieder, Tausende und Millionen Seelen ergreifen diese Lehre mit entzückender Begeisterung, lassen für sie im seligsten Frieden und Leben, um bald von des Himmels Höhe herab über ihre Gräber, Völker und Nationen die Kniee in Anbetung vor dem beugen zu sehen, der gesprochen: „Wenn ich erhöht sein werde von der Erde, werde ich Alles an mich ziehend1 ') Die drei übermächtigen Leidenschaften des natürlichen Menschen, Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens, haben die Menschheit vor Christus, zu einer ver­kommenen Sklavenheerde, unter dem grausamen Joche Weniger erniedrigt, im Weibe und Kinde jede Menschenwürde zertreten, und die Erde zur Heimath aller Frevel gemacht. Wo ist nun eine Macht, welche diese unter der Wucht eigener Lasterhaftigkeit zusam­mensinkende Welt errettet? Siehe, nachdem Christus die Menschen über Gott und sein Wesen unterrichtet, „höre Israel, der Herr dein Gott ist ein einiger Gott,“ 2) nachdem er unser Verhalten gegen Gott in der bestimmtesten und klarsten Form festgestellt: ,,Du sollst lieben den Herrn deinen Gott, von deinem ganzen Herzen, von deiner gan­zen Seele, von deinem ganzen Gemtithe, und aus deiner ganzen Kraft,“ 3) so dann hat er auf dieser göttlichen Grundlage das Verhältniss der Menschen zu einander bestimmt, „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“4) Wunderbares Schauspiel! Dieses Gebot der Liebe, so einfach in den Worten, und so gross, dass „kein grösseres Ge­bot ist,“ 5) wandelt den Stolz der Mächtigen und Starken in die Sanftmuth und Demuth Jesu Christi um; entledigt die unersättliche Habgier ihrer Reichthümer und Schätze, um in rücksichtsloser Freigiebigkeit, dem Allerhöchsten Tempel und Altäre zu bauen, das vielgestaltige Elend der Menschen zu lindern und zu heben; dieses Gebot der Lie­be streift der Selbstsucht die grässliche Gewalt ab, mit der sie den Mitmenschen zum Sklaven an Leib und Seele gemacht, setzt die menschliche Freiheit in ihre Rechte, und geheiligte Achtung ein; bändigt das wilde Feuer der Sinnlichkeit, und weiht Unzähli­ge in freiwilliger Jungfräulichkeit dem Dienste Gottes; bildet auf dem gesegneten Bunde der Christen-Ehe, die feste Grundlage für das Glück der Familien und Staaten; ein allgemeiner Wettkampf heroischer Tugendübungen entsteht: Heilige und Märtryer in Gott allein bekannter Zahl, gehen hervor aus den Sprösslingen jener römischen Familien, welche die Welt unterjocht und beherrscht haben, wie aus den Nachkommen der Skla­ven, denen das Leben nur eine trostlose Aufeinanderfolge qualvoller Tage war. Dieser Kampf der Weisheit Christi und seiner Liebe, mit der Macht der Finsterniss, mit der Ver- *) *) Joan. 12, 32. — 2) Mark 12, 29. — 3) Mark 12, 30. —4) Mark 12, 31. — 5) Mark 12, 31.

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