Pistyur Imre: Litogenezis (Szentendre, 2011)

DES BILDHAUERS HEILENDE STEINE In den letzten Jahren war das Báchlein Bükkös mehrmals dermaBen angeschwollen, dass es in der Stadt eine Menge harter Steine aus den Bergen ans Ufer gespült hatte. Es hat die Steine so abgelagert, dass diese die Flussrichtung des Baehes verándert habén: das Wasser flieBt nieht mehr in der sehmalen Steinrinne in der Náhe des Marktplatzes, sondern schlángelt sich langsam in Richtung Donáti. Das Leben kehrte ins Wasser zurück - Fisehe sehwimmen aufwárts vom Fluss - und der Menseh fühlt sich wohl am Ufer, als er dort die Natúr antrifft. Ali das ist sozusagen umgemerkt geschehen, und was geschehen ist, scheint so selbstverstándlich zu sein, wie es nur die Gesetze und Vorgánge der Natúr sind. So selbstverstándlich, wie einmal der Bildhauer Imre Pistyur als Halbwüchsiger zum MeiBel griff, um aus Stein eine Skulptur zu machen. Es ist selbstverstándlich, dass seine Vorfahren in Dalmatien ebenfalls Steinmetze waren, die vor mehr als 300 Jahren vor den Türkén nach Szentendre flüchteten. Der Familienname bedeutet ebenfalls Steinmetz, Zisternenschláger. Aber nicht den Traditionen folgend wurde er zum Bildhauer, sondern das Erlebnis, das Material, die Natúr und nicht zuletzt die Schönheit der in seiner Kindheit in Csobánka angetroffenen Steine inspirierten ihn. Seine ersten Skulpturen wiesen eine Form auf, wie wenn nicht der MeiBel des Bildhauers, sondern die Natúr selber sie geschaffen hátte. Beim meiBeln seiner neuesten Werke strebt er sich ebenfalls nach Freilegung der Botschaft, die im Material, vor allém im harten Andesit, im Andesittuff versteckt ist, und die er damit ergánzt, was er über die Welt sagen möchte, sagen kann. Wie wenn er selber die Naturvorgánge modellierend bildhauern würde, so nehmen die Formen unter seinem MeiBel Gestalt, und wáhrend der Stein die Gestalt von Menseh, Tier oder Dámon annimmt, bleibt der Stein auch das, was er ist: von der Zeit und vom Wetter geformtes Material. Wenn wir das Material berühren, können wir Jahrtausende oder sogar Jahrmillionen in der Zeit zurücktreten, in die Richtung der geheimnisvollen Anfánge des Lebens. Imre Pistyur liebt es übrigens, wenn seine Werke angetastet, gestreichelt werden, er kann mitempfinden, was für ein elementares Instinkt die Hand des Besuchers führt, als er das Material nicht nur sehen, sondern auch fühlen möchte. Der Grund dafür ist vielleicht sein stándiges Streben, die heilenden Kráfte der Natúr für den Menschen zu nützen, und zwar so sehr, dass er in den siebziger Jahren in Szentendre als „Kráutermann" bekannt war. Wie mit den Sáften der Kráuter geheilt wird, so versucht er die Seele mit der im Stein versteckten Kraft zu heilen. Er stellt die „menschlichen Tugenden und Schwáchen" in den Mittelpunkt seiner Werke und über diese erzáhlend sucht er die Wahrheit, die Vollstándigkeit. Das Material seiner Werke ist Andesit, der Vulkanstein. Er ist so hart und rau, dass es unmöglich ist, ihn so glatt zu polieren, wie die Marmoroberfláche. Gerade diese Eigenschaft macht die Skulpturen wahrhaft rustikal und sie überzeugen den Zuschauer, dass es eine tiefere, essentielle Beziehung zwischen der Arbeit des Bildhauers und der Naturkráfte besteht. Sie bestátigen im weiteren, dass der Bildhauerei alles zum Thema dienen kann - wie der Künstler meint - von den Káferdámonen über die Helden der Mythologie bis zu den Charakteren, die er am Markt am Bachufer in Szentendre beobachtet hat. Das macht den Künstler zum richtigen Wissenschaftler in „Litho-Genesis", d.h. in den GesetzmáBigkeiten der Natúr, die die Entstehung und die Ánderungen der Steine bewirken. Dadurch wird er zu einem der wenigen ungarischen Bildhauer, die überzeugt sind, dass Ernst und Humor einander nicht ausschlieBen, sondern voraussetzen, da wir die Kráfte, die unser Schicksal prágen, oft nur mit Hilfe des heilenden Láchelns ertragen können. Ernő P. Szabó

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