Kassák Lajos: MA buch (Berlin, 1923, Facsimile: Kassák Múzeum, 1999)

in denen Kassák solche Worte an den gepeinigten ungarischen Proletarier fand: Und damals schienst du zwischen Himmel und Erde gestorben zu sein, mit den Dornen der Wahrheit in deinen Zähnen. Gedungene Türme donnerten Verwüstung. Schurken, entzündet vom weißen Wahnsinn wollten die rote Sonne mit deinem blutenden Leibe abwischen. O Bruder du brennst jetzt, mitleidsloser Scheiterhaufen im handelnden Willen der Völker. Zerrissene Ketten knirscht die Zeit. Auf Fluren der Unmenschlichkeit marschiert der Mensch. Zwischen Himmel und Erde flattern rote Schreie. Aus Budapest geht der Weg nach Wien, in die Emigration. Und hier, vom ungarischen Sprachgebiet getrennt, in der entwur­zelten Einsamkeit fängt die dritte Periode in Kassáks Schaffen an. Aber noch einmal erblüht die neue politische Dichtung in ihrer ganzen in Farben schwelgenden, hinreißend agitativen Pracht: Kassák überblickt die ganze nunmehr abgeschlossene Revolutions­epoche des ersten Nachkriegsjahres, das im disharmonischen Mißton der Konterrevolution ausklingt, und schafft sein langes, großangelegtes Epos „Scheiterhaufen singen". Ein Werk, zu dessen Würdigung uns hier der Raum abgeht, das aber unzweifel­haft den Höhepunkt der politischen Dichtung Kassáks darstellt und in der gesamten Weltliteratur unbekannte Töne anschlägt. Anlage, Aufbau und Stoff verraten auf den ersten Blick, daß man es mit einem ganz eigenartigen Werke zu tun hat, das keinem anderen als sich selbst ähnlich ist. Der Held des Epos ist die Menge, sein Inhalt die Aktion. Es ist das hohe Lied des revolutionären Ge­schehens. Man bedauert mit Recht, daß das eigentümliche Werk noch nicht ins Deutsche übertragen wurde, eine Aufgabe, der allerdings bedeutende sprachliche Schwierigkeiten im Wege stehen, denn der Kassák so eigene, der expressionistischen Sprache nicht unähnliche neue poetische Stil feiert hier wahre Orgien. Was seine Kraft und Plastizität anbelangt, steht er meinem Gefühl nach in der Dichtung aller Nationen einzig da. Die dritte Periode Kassákscher Kunst beginnt in der Wiener Emigration und gelangt in einer neuerlichen Trennung von Dich­tung und Politik zum Ausdruck, die aber alles eher, denn eine Konzession ist. Wie paradox es auch klingen möge, löst sich Kassáks Poesie — nicht Kassák der Mensch — infolge durchwegs sozialer Erwägungen von der Politik, richtiger von der Agitation, los. Auch unvermittelt ist der Schritt auf keinen Fall zu nennen. Der­selbe soziale Sinn, der Kassák zum Dichter der Revolution stem­pelte, verhalf ihm zu einer klaren und vorurteilslosen Einsicht in die veränderte Lage. Er verzichtet auf die dankbare Rolle des Agi­tators, weil diese Rolle in der neuen Etappe der in die Defensive ge­drängten Revolution ebenso unsozial geworden ist, wie sie in 10

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