Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)
Studien - Ilona Sármány-Parsons: Symbiose und distanz
Der relative Rückgang der ungarischen Studenten in Wien, der ab den siebziger Jahren einsetzte, bedeutete auch, dass - im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten - nur wenige neuen Freundschaften oder informelle Beziehungen zwischen österreichischen und ungarischen Künstlern entstanden. Die in Budapest arbeitenden Ungarn kannten das künstlerische Institutionensystem Wiens zunehmend weniger, die künstlerische Elite der beiden Städte entfremdete sich allmählich.23 Nur bei den internationalen Ausstellungen des Künstlerhauses waren sie mitunter gemeinsam vertreten und stellten gemeinsam aus. Nach der Gründung der Ungarischen Gesellschaft der bildenden Künste (Országos Magyar Képzőművészeti Társulat, OMKT) gab es in Budapest ebenfalls Bestrebungen, eine ähnliche Ausstellungspraxis wie in Wien ins Leben zu rufen. Die erste Exposition im neuen Ausstellungsgebäude 1877 verfolgte ein internationales Ziel: Außer den ungarischen Malern wurden auch Bilder französischer, deutscher und österreichischer Künstler gezeigt. Von da an gewährleistete die OMKT den ungarischen Künstlern ein regelmäßiges Forum für die Präsentation ihrer Werke. Für die zeitgenössische Wiener Kunstkritik war die nationale Eigenständigkeit der Ungarn selbstverständlich, allerdings schenkte sie den Arbeiten ungarischer Künstler meist kaum Beachtung. (Eine Ausnahme stellte natürlich Ludwig Hevesi dar.) Ihr Hauptziel war es, der Welt zu beweisen, dass die zeitgenössische österreichische - beziehungsweise Wiener - Kunst in ihrer Qualität mit der deutschen oder auch französischen Kunst gleichwertig war. Die Mehrzahl der Wiener Kritiken beschäftigte sich mit diesem Problem und litt stark darunter, dass Österreich - was Malerei und Bildhauerei anging - im internationalen Wettbewerb nicht nur hinter den Franzosen, doch auch hinter den Deutschen zurücklag, In den jährlichen Frühjahrskatalogen des Künstlerhauses, die sich meist auf ein Verzeichnis der Kunstobjekte beschränkten, tauchen zwar auch ungarische Namen auf, doch handelt es sich dabei in der Regel nur um die „Fixsterne" des Historismus wie Károly Lotz, Gyula Benczúr (1844-1920) oder Mihály Munkácsy (1844-1900). Unter ihnen war es aber nur für Munkácsy, der international über den besten Ruf verfügte, möglich, seine Werke in Wien auf einer gesonderten Ausstellung zu zeigen; so erntete Christus vor Pilatus im Januar 1882 einen riesigen Erfolg.24 Munkácsy nimmt in der Geschichte der österreichisch-ungarischen künstlerischen Beziehungen ohnehin einen besonderen Stellenwert ein. Nur wenige ungarische Künstler wurden in der Kaiserstadt derart populär. Den ersten durchschlagenden Erfolg hatte er schon I 879 mit Milton, als die angesehensten Kritiker und Feuilletonisten das Gemälde in den Wiener Tageszeitungen einstimmig als Meisterwerk feierten. Ein Industriemagnat und „Bildungsbürger“ 85