Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Die stadt als artefactum - Kaiserlich und königlich

Wir sind alle, lieber Laci, zusammen mit Franz Joseph gestorben. Merkwürdig, aber es ist so, dass dieser alte Mann, der nicht allzu gut Ungarisch konnte, auch die niemals wiederkehrende Glanz­zeit der ungarischen Literatur bedeutete. | Gyula Krúdy an Lajos Hatvány, 4. Juli 1925 Eine blasse Rose irrt durch die königlichen Gemächer der Burg von Buda. Noch glückliche Mutter nimmt sie ihr Kindlein in den Schoß und wiegt es. Eine dunkle Haarkrone ziert die marmorne Stirn. Die Augen tief, traurig und zuweilen düster, wie jene der Wittelsbacher, der Familie, aus der Könige, Dichter, Mäzene und Irre hervorgehen. Dreiundreißig Jahre ist sie alt, über alle Illusionen hinweg, und auf den langen Spaziergängen durch Buda, die man­ches Mal am Aussichtsturm auf dem Jánoshegy enden, trägt sie im Herzen oder in der Tasche die nostalgischen, spöttischen Liebes­lieder des feurig dreinblickenden Heine bei sich. Nun hält sie ein neues Buch in der Hand, das ihr Ida Ferenczy und Miksa Falk empfohlen haben. Der Titel des Buches: „A szerelem bolondjai“ [Die Narren der Liebe], Ida Ferenczy liest ihr die sonderlich klingenden ungari­schen Wörter vor. Sie übersetzt ins Deutsche, was die Königin nicht versteht. Sie macht sie darauf aufmerksam, dass ihre Schwes­ter, die schöne Königin von Neapel, auch in dem Roman vor­kommt. Und in Elisabeths Herz ziehen die Worte des ungarischen Dichters neben die Strophen Heines. Wozu die Politik nie in der Lage gewesen wäre, das hat dieses Buch erreicht: Es hat die Liebe Jókais und der Ungarn in das Herz der Königin geschmuggelt. | Gyula Szini: Jókai GEGENÜBERLIEGENDE SEITE OBEN UND IN DER MITTE: UNGARISCHE M O N A RC H I E-RO M AN E: WETTKÄMPFE IM HERBST. DER GROSSE SCHELM GEGENÜBERLIEGENDE SEITE UNTEN: EINE GERN GELESENE LEKTÜRE VON KÖNIGIN ELISABETH: A SZERELEM BOLONDJAI [DIE NARREN DER LIEBE] VON MÓR JÓKAI AUF DIESER SEITE OBEN: MIHÁLY MUNKÁCSY: FARBSKIZZE DES DECKENGEMÄLDES FÜR DAS KUNSTHISTORISCHE MUSEUM. 1884. ÖL. LEINEN (UNGARISCHE NATIONALGALERIE, BUDAPEST) 25

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