Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Wien-brevier - Gyula Krúdy: Die rote postkutsche fährt los

WIEN-BREVIER GYULA KRÚDY: DIE ROTE POSTKUTSCHE FÄHRT LOS AUSZUG Vielleicht wußte er selbst nicht mit völliger Sicherheit, weshalb er Wien derart schwärmerisch verbunden war, daß er beinahe sein ganzes Leben in dieser Stadt verbrachte, in der Gegend der Hofburg und unter den Arkaden der großen Oper, auf dem fast moosbedeckten Pflaster des Josefsplatzes und vor den Geschäften am Graben. Zur hel­len Mittagsstunde, wenn die Sonne schien, auf dem Ring der Schnee unter den Sohlen knirschte und die Bäume in ihren Pelzen milde strahlten, wie die Frauen, die in der Allee spazierengingen, passierte er in der Art eines fremden Reisenden das Burgtor, um nachzusehen, wie es Franz Joseph ging, was wohl die Burggendarmen vor ihren Wacht- häusern und die kolossalen Statuen trieben, und wessen Equipage es war, die vor dem Eingang zum kaiserlichen Militärkabinett wartete. Obwohl er sich zur Sippschaft des rebellischen Fürsten Ferenc Rákóczi zählte, schritt er stets mit einer gewissen Andacht an den erzenen Rittern vorüber, und still schlenderte er durch das Siegestor. (...) Er freute sich über das Wiener Leben wie ein Romanheld, oder wie Karcsi Ráth, der wegen einer Liebe endgültig nach Wien gezogen war. Er freute sich über das glänzende Bier im »Spatenbräu« und den Kavalierspitz bei »Meißl und Schadn«; bei Riedl am Stephansturm gibt es den besten Kaffee, und Frau Sacher bietet ihren Gästen die schöns­ten Früchte. Einen großen Bogen machte er nur um Gasthöfe, in denen Pester oder die sogenannten Ungarn in Wien abzusteigen pflegten. Das »Bristol« und das »Grand Hotel« haben unseren Helden nie gesehen. Er kannte da die Pester bereits sehr genau, und auch sie kannten ihn. Längst hatten sie sich von Tisch und Bett getrennt. (Manch­mal fuhr Alvinczi nach Pest, um der ungeliebten Bewohnerschaft beim Pferderennen das Geld abzunehmen.) Er kannte die Lokale, in denen sich die Nachfahren der alten Volkssänger produzierten, er mochte die Zylinderhüte der Fiakerkutscher und das Weinhaus, das man von der Rotenturmstraße erreichen konnte, und jenseits des Kanals kamen gegen Abend fesche Mädchen aus den Büros und den Läden. Des Gemüsemarktes berauschender Geruch und der abendliche Glanz der Geschäfte, das Glitzern der Frauenschuhe und das Wiegen plissierter schottischer Röcke, gemütliche Bäcker und im Sonnenlicht der breiten Ringstraße die fröhlich dahinfahrenden Kutscher... und die Habsburger, die Erzherzoginnen, die den Wiener Frauentyp verkörpern, die bürgerlichen Erzherzoge, die in 202

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