Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Júlia Lenkei: Untergetaucht in Wien - Béla Balázs

Geheiztes Zimmer und versichertes Leben. Mit Anna in tief klingendem Einverständnis, und alle lieben mich.”35 Im April 1921 schreibt er sogar: „... im Grunde genommen haben wir es sehr gut. Und wenn es nicht sein muss, kehren wir nie nach Ungarn zurück.”36 All dies versprach einen neuen Abschnitt in seiner künstlerischen Laufbahn. „ 17. August 1921. Es ist sicher, dass dieser Herbst die Zeit dafür sein wird, um meine Haut zu wechseln und mich zu erneuern. Die alte juckt sehr, und ich spüre den veralteten Geruch, jetzt muss ich einen Schritt nach vorn machen.”37 Die Möglichkeit einer neuen Epoche zeigte sich ihm nicht nur in subjektiver Weise, im Hinblick auf seine eigene Begabung, vielmehr sah er in der Emigration die Möglichkeit einer Öffnung für das gesamte literarische Leben. „Die Emigration der Literatur ist nur von guter Wirkung”, schreibt 1924 Samu Fényes in der Zeitschrift Diogenes in seinem Aufsatz zur ungarischen Nachkriegsliteratur. „Zunächst einmal fand eine gewisse Auswahl statt. Jene Schriftsteller, die jetzt zu Hause geblieben sind und zu Hause Schriftsteller bleiben konnten, haben die Krypta der Vergangenheit hinter sich geschlossen. Zugleich war dies auch eine gute moralische Aussiebung. Der Dreck blieb im Sieb. Daher glaube ich an die moralische Kraft des Verbandes der Exilschriftsteller. Die literarische Emigra­tion ist aber vor allem deswegen von großer Bedeutung, da sie auf diese Weise zu einer europäischen Literatur wurde. Es gibt für sie keinen ungarischen Globus, kein speziell ungarisches Maß mehr. Sie steht auf der Bühne Europas und wird, ob sie nun will oder nicht, am großen Maßstab der Welt gemessen. Auch durch die materielle Notwendigkeit ist sie darauf angewiesen, in fremde Sprachen übersetzt zu werden. Was nur auf Ungarisch lebens­fähig ist, das wird hier bald sterben. Doch wird die Literatur auch wegen eines inneren Grundes europäisch. Vom Kopf des in der Fremde lebenden ungarischen Schriftstellers wurde die blendende Mütze heruntergerissen, die engen nationalen Gesichtspunkte, die volkskundlichen Privaterlebnisse. Er lebt in Europa, und er lebt Europa. Doch er kann durch und durch Ungar bleiben, so wie auch die englischen Lyriker ihren englischen Charakter nicht verloren, obschon sie beinahe alle in der Fremde lebten und starben. Sowohl Ibsen als auch Dostojewski standen zu ihren Wurzeln. Doch sie wuchsen weit hinaus, zu Weitsicht, an freier Luft.”38 Was Balázs selbst anging, so bot selbstverständlich der Film die Möglichkeiten des neuen Abschnitts. Doch dem, der nicht vorbereitet ist, bietet sich eine neue Möglichkeit vergebens. Balázs wartete in jeglicher Hinsicht, theoretisch als auch mit seiner literarischen Praxis und seinen Erfahrungen als Regisseur gewappnet auf das Erscheinen des neuen Mediums. Er beklagte in seinen Gedichten, doch auch in seiner Prosa, den Bühnenwerken ebenso wie in 147

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