Körmöczi Katalin szerk.: Führer durch die historische Ausstellung des Ungarischen Nationalmuseums 3 - Vom Ende der Türkenkriege bis zur Millenniumsfeier - Die Geschichte Ungrans im 18.-19. Jahrhundert (Budapest, 1997)
SAAL 11. Reformen in Ungarn in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Katalin Körmöczi)
SAAL 11 Reformen in Ungarn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Nach den durch die französische Revolution und die Napoleonischen Kriege verursachten Erschütterungen geschah die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongreß der europäischen Staaten (1815). Er deklarierte die Aufteilung Polens und schuf den aus den deutschen Fürstentümern gebildeten Deutschen Bund unter österreichischer Führung. Dadurch, daß der Habsburgerherrscher Franz I., nachdem er 1804 den Titel des erblichen Kaisers Österreichs angenommen hatte, 1806 auf den machtentleerten Titel des deutsch-römischen Kaisers verzichtete, gab es das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auch formell nicht mehr. Dies und der europäische Status quo nach Waterloo wurde in Form einer konservativen Friedensorganisation durch die vom österreichischen Kaiser Franz E, vom russischen Zaren Alexander I. und vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. 1815 in Paris unterzeichnete „Heilige Allianz" sanktioniert. Als Einheit trat die Allianz gegen jede revolutionäre und liberale Ansicht auf. Sie schloß aufgrund ihres christlichen Grundprinzips - das türkische Reich aus ihrem Machtsystem aus und hielt England und die Vereinigten Staaten von Amerika - aufgrund staatsrechtlicher Prinzipien - für ungeeignet, in diesen Rahmen aufgenommen zu werden. Infolgedessen war die Stellung inner- oder außerhalb der Heiligen Allianz fast gleichbedeutend mit einem bestimmten Modernisierungsniveau in Wirtschaft und Gesellschaft, mit den Grenzen der europäischen Entwicklungszonen - ausgenommen das restaurierte französische Königreich. Im westlichsten Gebiet Europas, in England, ging in der Zivilgesellschaft des gereiften konstitutionellen Königreichs der Wandel von der feudalen Barock-RokokoMentalität zur vernunftgemäßen, praktischen zivilen Anschauungsweise und Lebensführung vor sich. In den westlichen Staaten des Kontinents stießen die gegensätzlichen Kräfte als letzte Kraftprobe der französischen Revolution aufeinander, während sein mittlerer Raum und so auch Ungarn - die ersten Erkenntnisse und die ersten Mißerfolge hinter sich hatte. Der äußerste östliche Punkt dagegen durchlebte die letzte Phase der Unbeweglichkeit und Versteinerung. Der ungarische Reformer Graf István Széchenyi (1791-1860) besaß einen auf den Tag genauen Überblick über das zeitgenössische Europa (Abb. 26). Er versuchte, das sich abzeichnende Bild zu verändern, zeigte Tendenzen auf und bestimmte seine persönlichen Aufgaben bzw. die Lage seines Landes auf der Karte des sich verbürgerlichenden Europa. Der Aristokrat Széchenyi wünschte Modernisierung und Europäertum. Außer den wenigen Magnaten seines und des Kreises um den anderen Aristokraten, Graf Lajos Batthyány (1807 1849), führte der liberale Gemeinadel als die Schicht mit dem größten politischen Einfluß in der ungarischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts die Umgestaltung durch. Dies resultierte aus dem Faktum, daß in Europa von Westen nach Osten der Adel zahlenmäßig immer größer und gegliederter, die Leibeigenen immer abhängiger und das Bürgertum zahlenmäßig immer kleiner und ethnisch gemischter wurden. Eine spezifisch ostmitteleuropäische Erscheinung war der hohe Anteil des Gemeinadels und seine dominierende politische Verantwortungsübernahme. Ein großer Teil des ungarischen Gemeinadels erwies sich als verständig, anpassungsfähig, unternehmensfreudig und neben der Aristokratie - als einheimischer Vertreter des europäischen Bildungsan-