Kalicz Nánor: Früchneolitische Siedlungsfunde aus Südwestungarn. (Inventaria Praehistorica Hungariae 4; Budapest, 1990)
EINLEITUNG - IV. DIE BESTATTUNGEN
benden nicht mehr benutzt werden konnte. Die Gräberkonstruktionen von Zlatara, Vinca und Obre nehmen in der Bestattungsweise der Starcevo-Kultur einen besonderen Platz ein. Trotz gemeinsamer Züge (Brandlegung, Säuberung, Beigaben, Grabesaufbau usw.) hat jeder Fundort seine eigenen, charakeristischen Eigentümlichkeiten (Aufbau aus Stein oder verwesendem Material, ein-zwei oder Massenbestattung in einem Grab, teilweise und zerstückelte Bestattungen, Erwachsenen- oder hauptsächlich Kinderbestattungen, extreme Verschiedenheit der Beigaben usw.). Vom südlichsten Fundort, Anza, wissen wir, daß mit Ausnahme eines einzigen in der Schichte IV (Vinca) gefundenen Skeletts auf dem erschlossenen Gebiet 33 volle oder teilweise Bestattungen ins Frühneolithikum gehörten. Selbst eine Kinderbestattung mit Pithos ist vorgekommen. 164 Über die Bestattungen gibt es keine archäologische Beschreibung. Gräber mit Beigaben sind aus Kozluk im Südbanat (Gefäß und Steinaxt) 165 und Tecic bekannt, wo die beiden Skelette durch eine dünnere Erdschichte getrennt übereinander lagen, mit nahezu genau gleichem, bemaltem Gefäß als Beigabe, beide auf ihrer i f>fi rechten Seite und in NO-SW-Orientierung. Seit dem Erscheinen der Studie von V. Lekovic sind weitere überraschende Bestattungen durch die Ausgrabungen auf dem Gebiete des zweiten Kraftwerks am Eisernen Tor bekannt geworden. Am Fundort Mala Vrbica fand man auf dem Gebiete der Siedlung in einer unregelmäßig runden Grube (mit 1,5 bis 2,0 m Durchmesser) unter einem Haufen Schnekkenhäuser (Zlatara!) 17 gut erhaltene, regelrechte Bestattungen in Hockerlage, ohne jede Beigabe. 10 Skelette gehörten in Kategorie infans I-II (2 bis 14 Jahre, zwei in die Kategorie juvenilis 14 bis 15 Jahre), während 5 Skelette im adulten bzw. senilen Alter (30 bis 60 Jahre) waren. Nach den anthropologischen Bestimmungen gehörten 3/4 Männer und 2/1 Frauen in dieses Alter. Ähnlich wie in Lepenski Vir repräsentierten die Skelette den brachicephalen und gracilen mediterranen dolichocephalen Typus. 167 In VeleSnica wurden in der mehrschichtigen Siedlung drei Gräber gefunden. In zwei Gräbern hatte man je eine Person bestattet. Eine von ihnen hatte eine kleine Gefäßbeigabe und ihr Schädel war mit einem „Altarstein" in unsicherer (sekundärer?) Lage bedeckt. Um des Grab befand sich ein Haufen Schneckenhäuser. Das interessanteste war das dritte Grab, das in einer runden Grube mit 1,2 m Durchmesser fünf vollständig und zwei teilweise erhalten gebliebene Skelette in Hockerstellung, eines über dem anderen liegend, enthielt. In der Grube befanden sich Keramik-Fragmente der Starcevo-Kultur, Schneckenhäuser (!), Tierknochen und rotgebrannte Erdklumpen. Die Hockerstellungen waren verschieden, Spuren gewaltsamen Todes ließen sich aber nicht feststellen. 1 Auch schon nach dieser nicht vollständigen Beschreibung zeigt die Bestattungsweise der StarcevoKultur, die auch noch von lokalen Umweltfaktoren beeinflußt war (Vorhandensein von oder Mangel an Steinen), ein sehr abwechslungsreiches Bild. Die wichtigste Eigentümlichkeit besteht darin, daß die Bestattungen in der Siedlung oder am Rande der Siedlung erfolgten und eventuell kleinere Gräbergruppen bildeten. Die Vielfalt von Lage und Orientierung ist auffallend. Häufiger scheint viellecht die Lage auf der linken Seite sowie die NO-SW Orientierung oder das Gegenteil zu sein. Aber gerade wegen der Vielfalt der wenigen Angaben kennen wir die Gesetzmäßigkeiten nicht, die tiefgehende Folgerungen ermöglichen könnten. Obwohl sich seit der Publikation von Lekovic die Zahl der bekannt gewordenen Bestattungen von 120 auf 150 erhöht hat, ist das Bild noch komplizierter, noch bunter geworden. Aufgrund der neuen Erkenntnisse sehe ich die Hypothese J. Champmans von „den beiden vertikal differenzierten Segmenten" der frühneolithischen Gesellschaft, also von den in der Siedlung Bestatteten (hauptsächlich Kinder und Frauen), die eine niedrigere gesellschaftliche Stellung einnahmen, sowie von den anderswo oder anders bestatteten Personen, (vor allem Männer) die einen höheren gesellschaftlichen Rang hatten, nicht bestätigt. 169 Nimmt eine nur einfache Rechnung vor, so kommt man schon zu dem Resultat, daß die Zahl der in den Siedlungen Bestatteten im Verhältnis zu der mit Wahrscheinlichkeit vermutbaren Bevölkerungszahl verschwindend klein ist. Das bezieht sich auf das ganze Gebiet der Starcevo-Kultur, auf die Körös- und Cri§-Kultur, und auf alle frühneolithischen Kulturen Südosteuropas. Die Bestattungen drücken die Fürsorge der Gemeinschaft für ihre Toten aus, und sie kam in den verschiedensten Formen zum Ausdruck. Die Bestattungen der Starcevo-Kultur spiegeln eine so komplizierte Verflechtung weiterlebender uralter Traditionen, fremder Einflüsse und lokaler Faktoren wider, daß vorläufig eher die Unterschiede dominieren, als die die ganze Kultur umfassenden Regeln. Besonders auffallend ist diese Buntheit, wenn man die wenig komplizierte Bestattungsweise der die oberpaläolithischen Traditionen bewahrenden mesolithischen (aber neolithzeitlichen?) Friedhöfe untersucht. Die Organisiertheit der Gesellschaft bringen auch die Bestattungen zum Ausdruck, nicht aber den selbstverständlichen untersten Grad der Hierarchie. Insgesamt repräsentieren die bekannt gewordenen Bestattungen nicht den Bestattungsritus des ganzen Volkes der Kultur, doch mag das außerordentlich komplizierte Bild auch komplizierte historische Prozesse spiegeln.