Lovag Zsuzsa: Mittelalterliche Bronzgegenstände des Ungarischen Nationalmuseum, (Catalogi Musei Nationalis Hungarici. Seria Archeologica 3; Budapest, 1999)
Einführung - Die mittelalterlichen Bronzegegenstände des Ungarischen Nationalmuseums
Die mittelalterlichen Bronzegegenstände des Ungarischen Nationalmuseums Pektoralkreuze (Kat. Nr. 1-41) Die gelenkig verbundenen, eine innere Höhlung bildenden, aus Vorder- und Rückseite bestehenden gegossenen Reliquiar-Pektoralkreuze byzantinischen Typs lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe wurde im Heiligen Land gefertigt und verbreitete sich als Pilgerandenken in ganz Europa. Da ihre Form außerordentlich traditionell ist, ist eine genauere Zeitbestimmung als das 6.-11. Jahrhundert fast unmöglich, die Exemplare aus den Fundkomplexen unterschiedlicher Zeit innerhalb dieser fünf Jahrhunderte sind fast identisch. In Ungarn kommen sie schon in Gräbern aus dem 10. Jahrhundert vor, in zur Jahrhundertmitte beginnenden und bis ins zweite Drittel des 11. Jahrhunderts benutzten Reihenfriedhöfen des sog. Gemeinvolkcs (Kat. Nr. 3, 8, 17) und in Gräbern des 11. Jahrhunderts aus um die Kirchen angelegten Friedhöfen (Kat. Nr. 1,2). Ihre relativ große Zahl ist durch den seit 1018 durch Ungarn führenden Festland-Pilgerweg nach Konstantinopel bzw. ins Heilige Land begründet sowie durch den unbczweifelbaren Einfluß der Ostkirche in den südlichen und östlichen Gebieten des Landes. Es gibt unter den ReliquiarPektoralkreuzcn mit bekannten Fundumständen kein auf später als das Ende des 11. Jahrhunderts datierbares Exemplar, was offensichtlich mit dem Rückgang der Wallfahrten nach Jerusalem zusammenhängt, nachdem die Heilige Stadt 1071 unter mohammedanische Herrschaft gelangte. Die aus dem Heiligen Land stammenden Reliquiare sind Kreuze mit sich verbreiternden und gerade abgeschlossenen Balken sowie mit rcliefartig gegossenen oder gravierten Darstellungen. Im ungarischen Fundmaterial sind fast alle bekannten Typen vertreten und in der Sammlung des Ungarischen Nationalmuseums ihr größter Teil. Wie allgemein, kann man auch im ungarischen Material keine chronologischen Unterschiede zwischen den Christus und Maria allein und den auch andere Nebengestalten abbildenden reliefartigen und gravierten Kreuzen feststellen, auch wenn dazu Versuche in der Fachliteratur unternommen wurden. Vor allem imter den gravierten Kreuzen gibt es einige, deren vom üblichen abweichende Darstellungen bzw. undeutbare Aufschriften ihre die traditionellen Formen konsequent bewahrende Herkunft aus dem Heiligen Land bezweifeln lassen, weshalb für ihren Herstellungsort die Bezeichnung „Einflußgebiet des Byzantinischen Reiches" gewählt wurde (Kat. Nr. 15, 16). Aufgrund der in Bulgarien gefundenen Parallelen stammen sie mit großer Wahrscheinlichkeit vom Balkan. Auf den Kreuzen aus dem Heiligen Land wurde Christus in der vor dem Bildersturm üblichen Weise als Parousie-Erlöser dargestellt, als Lebender, in langer ärmelloser Tunika (Colobium), mit dem aus der kaiserlichen Repräsentation übernommenen Suppedaneum unter den Füßen und dem Heiligenschein mit Kreuz um sein Haupt, und auf der Rückseite Maria in Orantenhaltung, mit der Glorie um ihr verschleiertes Haupt. Bei einer Gruppe der Kreuze umgibt an den Balkenenden die Hauptgestalten je ein reliefartiges Brustbild, diese stellen vermutlich Apostel dar. Bei einzelnen Typen kommen auf der Vorderseite neben Christus auch die Gestalten Mariens und des Evangelisten Johannes vor, doch besitzt die Sammlung des Ungarischen Nationalmuseums kein solches Exemplar. Die Darstellungen auf den gravierten Kreuzen sind abwechslungsreicher, auf ihren Rückseiten erscheinen auch die - mit Aufschriften versehenen - Figuren der Erzengel und Heiligen (Kat. Nr. 13, 15, 16) bzw. rein ornamentale Motive (Kat. Nr. 14). Die andere größere Gruppe von Reliquiarkreuzen byzantinischen Typs stammt aus der Kiewer Rus, wo sie vom Beginn des 11. Jahrhunderts an Jahrhunderte hindurch hergestellt wurden. Ihre Grundform weicht von der des Typs aus dem Heiligen Land ab, die Balken des lateinischen Kreuzes enden in runden Medaillons und sind immer reliefverziert. Auf ihrer Vorderseite ist der gekreuzigte Christus mit Lendenschurz, nach vorn gefallenem Haupt zum Zeichen des Totenzustandes und der Glorie mit Kreuz dargestellt. Aufsemen beiden Seiten befinden sich die Halbgestalten Mariens und des Evangelisten Johannes in trauernder Haltung und über Christus' Haupt ein weiteres Brustbild. Im allgemeinen haben die Figuren griechische und kyrillische Aufschriften, unter Christus' Armen ist zumeist die verkürzte Variante seiner letzten Worte zitiert: „Frau, siehe, das ist dein Sohn, - Sohn, siehe, das ist deine Mutter". Auf der Rückseite steht die Oranten- oder das Kind tragende Gestalt Mariens, in den Medaillons an den Balkenenden befinden sich die Brustbilder der in der Ostkirche besonders verehrten Heiligen. Die mssischen Kreuze haben sich im Laufe der Zeiten stärker verändert als die aus dem Heiligen Land, und damit ist auch ihre genauere Zeitbestimmung möglich. Neben dem obigen frühesten - auf das 11.-12. Jahrhundert datierbaren - Typ erscheinen im 12. Jahrhundert auch auf der Vorderseite die Dcesis und auf der Rückseite den hl. Nikolaus (Kat. Nr. 19) darstellende bzw. mit Silberoder Nielloeinlagen verzierte Kreuze (Kat. Nr. 23, 24). Ein in vielen Exemplaren vorliegender Kreuztyp wird von der russischen Fachliteratur mit der tatarischen Besetzung Kiews ( 1240) in Verbindung gebracht, dieser