KOZÁKY ISTVÁN: A HALÁLTÁNCOK TÖRTÉNETE II. / Bibliotheca Humanitatis Historica - A Magyar Nemzeti Múzeum művelődéstörténeti kiadványai 5. (Budapest, 1944)

Erster Abschnitt: Germanische Weltanschauungs-elemente im Totentanz

- 30 ­gramm eines Karl des Grossen verwirklicht. Den Kapitu­larbeschlüssen entsprechend werden biblische und klas­sische Texte glossiert, die Evangelien mit deutschen Inter­linearversionen und Erklärungen versehen, lateinische Wer­ke theologischen Inhalts verdeutscht, deutsche Gebetbü­cher und Hymnare nach lateinischen Mustern redigiert. In allen diesen sekundären Werken wurde schon das neue germanische Menschheitsideal des Mittelalters zur Gellung gebracht. Ganz ollen tritt der germanisch­christliche „Miles Chi isii" erst in der altsächsischen poeti­schen Bearbeitung der Evangeliengeschichten, im Heliand (882—840) in den Vordergrund. Wie herrlich stehen hier Germanentum und Christentum poetisch verarbeitet ne­beneinander ! Christus wird zu einem Volkskönig gemacht, germanisches Gelolgschaltswesen regelt den Alltag, die Burgen sind noch das Werk der Riesen, die Erde heisst noch „Midgard", der Tag des Jüngsten Gerichtes „Mus­pilli", die Engel tragen noch das Federkleid der Walküren und der Teufel bedient sich noch auf seinen irdischen Wanderungen der unsichtbarmachenden Tarnkappe der Nibelungen und Siegfrieds. Ohne Störung leben die alt­germanischen Elemente neben den christlichen weiter. Dem Dichter fällt es gar nicht ein, Christus oder die Chri­sten für Juden zu halten. Er weiss es genau, dass das Christentum in seinen Anfängen eigentlich aus einer Auf­lehnung gegen jüdische Moral, gegen jüdische Weltan­schauung emporkeimt, trotzdem es an dem einen einzigen Gott in seiner Dreiheit nach jüdischem Vorbilde festhielt. Warum dies so geschehen musste, werden wir ja noch sehen. Während also im Heliand der „Miles Christia­nus" 1 noch unter der Herrschaft des allwaltenden Schick­sals steht, so wünscht schon Otfrid in seiner Evangelien­harmonie. dass die proportionierte Gleichmässigkeit der Vierzahl der Evangelien, jene „vollkommene Vierzahl" der klassischen und orientalischen Philosophen also, die Un­gleichheit der Zahl der fünf Sinne schmücken, ausglei­chen und vervollkommnen möge. Und zur Zeit der Otto­nen, seit dem Auftreten des Angelsachsen Alkuin, ist man überzeugt, dass das Ziel eines „Miles Christi" nur die Überbrückung jenes Gegensatzes sein kann, welcher zwi­schen den fünf Sinnen und einer spirituellen Lebensordnung besteht. Dieses Lebensideal, den Sieg über die Tyrannei der fünf Sinne, — wie dies von Otfrid in der Einleitung zu seiner Evangelienharmonie ausdrücklich betont wird, — soll man nach der Auffassung dieses Zeitalters durch die „vollkommene Erkenntnis" verwirklichen können. 2 Die Freude an Gegensätzen und der Kampf im In­teresse der Überbrückung der Gegensätze führen zu jener mystischen Lebensauffassung, welche schon von Notker dem Deutschen (t 1022) verkündet wird, wenn er sagt: „Meines Könnens vermag mich niemand berauben !" In­dem an den Bischof Hu.ao 11. von Sitten (998—1017) ge­richteten lateinischen Briefe weist er dann auf die in sei­nen Werken zur Geltung gebrachte Gegensätztlichkeit, welche den Leser im ersten Augenblick abschrecken müsste, wenn er nicht daran denken würde, dass der Au­tor, der Schriftsteller, gerade durch seine schöpferische Tätigkeit ein Stück seines geistigen Ichs im Werke entlud, und dass der Geist des Schöpfers in einem jeden seiner Werke immer zugegen sei. Auch Notker unternahm et­was zu seiner Zeit ganz Unmögliches: er schrieb wissen­schaftliche Werke in dem Deutsch seiner Zeitgenossen I Und es gelingt ihm das Unmögliche, er vereint zwei schroffe Gegensätze mit seiner „armatúra animae", indem er kraft seiner „vollkommenen Erkenntnis" die Werte des irdischen Lebens — dem irdischen Schicksal trotzend — in eine „andere Welt" hinüberrettet. Er geht also noch immer von dem germanischen Menschheitsideal aus, wie auch die Nonne Hrotsvitha von Gandersheim (nach 962), die in ihren lateinischen Dramen schon germanisches, griechisch-römisches und christliches Wesen miteinander verbindet. Und ihr Einsiedler Abraham unternimmt ja auch wieder etwas Unmögliches : er will die Sünderin Maria 1 Vgl. den Brief des hl. Paulus an die Epheser, Kap. 6. Vs. 11-17. 2 Die „sieben freien Künste" : Parab. Salamonis 834-36, 9i-ä „Sapientia aedificavit sibi domum, excidit co­lumnas Septem." bekehren, aber auf eine ganz eigenartige Weise, indem er sich selbst hart bis zur Sünde heranwagt.: I Irotsvithas ger­manischer Charakter findet also an einer Überbrückung ge­gensätzlicher Pole sozusagen seine besondere Freude ! Sie betont ja dies ausdrücklich in der Vorrede ihrer Dramen. Sie erklärt dort, dass sie mit der Darstellung der Unkeusch­heit und Schamlosigkeit zur Keuschheit und Scham er­ziehen möchte. Ihre Gestalten wollen uns auch zeigen, „wie die Weibesschwachheit siegen kann, währenddes­sen die Manneskraft mit Schimpf und Schande unterliegt". Wie wir also gesehen haben, ist die „Neigung zur Gegensätzlichkeit" nicht nur eine germanische, sondern auch eine deutsche Eigenart. Wollte man ihre Geschichte auch weiter verfolgen, so würde man auch in den jünge­ren Jahrhunderten deutscher Kulturgeschichte Angaben und Beiträge in Fülle entdecken können, welche von einer fortgesetzten Wirkung dieses Charakterzuges der germani­schen Völker und besonders des deutschen Volkes zeu­gen würden . . . Wenn man nun einen Blick auf die mit­telalterlichen Totentänze wirft, so drängt sich fast unwillkürlich folgende Frage in den Brenn­punkt unserer Erkenntnis : Wie konnte im To­tentanz das Tanzmotiv mit dem Todesgedanken vereinigt werden ? Ist das nicht der krasseste Widerspruch, den es überhaupt gibt ? Und wo­her stammen die übrigen Widersprüche des Totentanzes ? Oder ist es keine Freude an ei­ner wilden Gegensätzlichkeit, dass einem leben­digen Standesvertreter jedesmal ein Totenleich­nam gegenübergestellt wird, dass der Sterbende und der Tote miteinander dialogisieren ? Dann ereilt ja der Tod schon in der „Gesamtlegende" jene Menschen früher und unerwarteter, denen es auf dieser Erde gut geht, die am liebsten gar nicht sterben wollten, währenddessen gerade jene, die sich nach dem Tode sehnen, denen es in diesem irdischen Dasein übel geht, auf den Tod am längsten warten müssen, ja er geht ihnen aus dem Wege und lässt sie noch weiter hier auf der Erde leiden 5 und die uner­messlichsten Plagen ertragen. Dann; besteht auch eine Gegensätzlichkeit in der Alternative, welche von den Gestalten des Todes und der Toten verursacht wird, indem eine düstere Mollstim­mung in der Erscheinung der Todesgestalt ei­nem hell-lustigen und grell-übermütigen und iro­nichen Bauernton, einer an die satirisierende Art der Panflöte erinnernden Durstimmung in dem tollen Danse-Macabre-Kirchhofstanz der Toten entgegentritt. Der Gegensatz zwischen Le­ben und Tod wächst im Mittelalter fast ins Unerträgliche, da sich der Mensch gegenüber den übersinnlichen Mächten immer freier und selbstän­diger benimmt, und wenn ein jenseitiger Wille in seiner vollen Macht ins Leben einbricht, wie im Tod und den Todesepidemien, so wird die­ser Gegensatz als eine Strafe Gottes empfunden, — so beschreibt diesen seelischen Vorgang Walther Rehm in seinem mächtigen Werke über den „Todesgedanken in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik".' Auch im Totentanz, ja sogar schon in der Pi­saner Form der „Gesamtlegende", wird der Ge­gensatz zwischen Höllenpein und ewiger Selig­keit in seiner ganzen Spannungsweite erlebt 3 Halle a. d. S. M. Niemeyer, 1928, S. 105-106.

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