KOZÁKY ISTVÁN: A HALÁLTÁNCOK TÖRTÉNETE II. / Bibliotheca Humanitatis Historica - A Magyar Nemzeti Múzeum művelődéstörténeti kiadványai 5. (Budapest, 1944)
Erster Abschnitt: Germanische Weltanschauungs-elemente im Totentanz
- 21 innerem Gehör abgelesen, dann aber wieder auch hörbar deklamiert werden können, und da diese Töne ebenfalls Verkörperungen innerer, seelischer Erlebnisse sind, kann auch in der Poesie von einer ersten Dimension der Höhe und Tiefe die Rede sein, welche wieder nicht nur den Wellenschlag, die wirkliche Hebung und Senkung des Sprechtons bedeutet, sondern auch die Flut und Ebbe der Gesamtempfindung eines Werkes, die Spannung und Entspannung, die Fragestellung und Antwort, das aufgegebene Problem und seine Lösung, die elektrische Ladung einer Verwicklung und die darauf folgende Entladung im tragischen Knotenpunkt, — mit einem Wortspiel gasagt : Arsis und Katharsis. Man sagt, die Poesie sei auch Musik. Und das macht nicht nur diese erste Dimension, sondern noch vielmehr die zweite : die musikalische Dimension der Länge und Kürze. Dass diese ebenfalls ein unausbleibliches Element der poetischen Gestaltung ist, kann nicht bezweifelt werden, wenn man an den Rhytmus der Sprache in Vers und Prosa denkt. Die dritte Dimension, die Breite und Enge, macht auch die Poesie zu einem Erlebnis von tiefster Menschlichkeit, denn in einem jeden Literaturwerk spricht die menschliche Gedankenwelt, mit der Gefühls- und Willenswelt gepaart in einem bald einstimmigen, bald vielstimmigen Chor harmonisch oder disharmonisch vereinigt ihr zeugendes Wort in der künstlerischen Gestaltung mit. Gedanken, Gefühle und Wille des Menschen, körperliche Wesenseigenheiten und seelisch vergeisterte Gesinnung und Gesittung, Sinnlichkeit und Übersinnlichkeit bilden den bald breiten, bald in verklüftete Engungen gezwungenen Lebensfluss, der im Genie in das Meer der Poesie und Kunst mündet und die Poesie zu einem persönlichen Erlebnis des Mitgeniessenden und des Schöpfers gleichsam macht. Und zuletzt folgt die vierte Dimension der Literatur und Poesie : die Form. Zu verstehen ist da nicht nur die wirckliche Form eines Werkes, welche sich ausser Sprachmusik und Rhythmus vor allem als Gestaltung offenbart. Unter Form soll da ein bestimmtes Gepräge verstanden werden. Das Gepräge des Verfassers oder Dichters, das Gepräge seiner Zeit, seines Zeitalters, das Gepräge der Rasse, der Nation, der Kulturzustände und Sitten, das Gepräge der Religion und der Weltanschauung ist ein unauslöschbares Element der Literatur und Poesie ebensogut wie einer jeden Kunst. Durch dieses Gepräge erscheint ein jedes Kunst- und Literaturwerk als ein Brief — zu denken ist an das lateinische „litterae" — eine Nachricht, ein Testament des Genies an seine Zeitgenossen, an die Nachwelt und an seine literarischen Erben, ein Brief eines jeden Zeitalters an die ganze Menschheit in Weichseibeziehung zwischen National- und Weltliteratur. Literatur und Dichtkunst umfassF also die ganze Menschlichkeit, die Entwicklung eines jeden Menschenichs, einer Nation, eines Zeitalters und der ganzen, gesamten Menschheit. Das sei auch unser Ziel, wenn wir die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der mittelalterlichen Todes- und Totentänze darstellen wollen ! Auch im Entwicklungsgang der mittelalterlichen Totentänze sind die soeben erklärten „vier Dimensionen" zur Geltung gekommen. Seit Uranfang besteht die erste Totentanzdimension : die grosse, ewigmenschliche Fragestellung und ihre irdisch oder überirdisch aufgefasste Beantwortung . Schon in vorgeschichtlichen Zeiten bestanden jene Fragen, welche im Mittelalter im Totentanz-Gesamtkunstwerk beantwortet werden. Zwei grosse Fragen werden immer und immer wieder gestellt, nicht nur im christlichen Mittelalter, sondern schon zur Zeit der klassischen Antike : Was sind die Schicksale und Ziele des Menschen auf der Erde und was ist sein Los im Jenseits ? — Dies ist das erste und grösste Problem der primitivsten Völker der vorgeschichtlichen Zeit und auch die dringendste Frage des hochgebildeten Europäertums im klassischen Altertum. Diezweite Frage hängt mit dieser ersten eng zusammen : Inwiefern weicht das Schicksal der Guten von dem der Bösen ab ? Uberhaupt : Wer ist hier auf Erden für einen „guten Menschen" zu halten und warum müssen gerade die Guten hier mehr leiden und ertragen, als die Bösen ? — In beiden Fragen gibt sich die „Höhe" und die „Tiefe" kund, denn die Antwort, welche die verschiedensten Völker, die primitiven und „barbaren", sowie die „klassischen" auf diese Fragen geben, weist im ewig gleichen Wellenschlag des Ewig-Menschlichen in der menschlichen Gedankenwelt auf das Höchste, was ein Mensch erreichen, und auf das Tiefste hin, wohin ein Mensch überhaupt hineindringen, ja hinabsinken kann 1 Und schon in der zweiten Totentanzdimension, welche der musikalischen Kürze und Länge entsprechen soll, äussert sich der ganze und volle Mensch in der Gegenüberstellung der Ewigkeit und Zeitlichkeit, des Unvergänglichen und Vergänglichen, der irdisch eingeengten Räumlichkeit und der unermesslichen Spannweite der Unendlichkeit. Es erscheinen die in eine Formel gedrängten Symbolbilder, erfunden schon vom Urmenschen und ausgebildet von den orientalischen und klassischen Völkern der Antike. Vor allem erschien der Gisant-Typ : eine Gegenüberstellung des Lebens und seines Zustandes nach der „Fülle der Zeiten". Und dabei verkörpert sich in dem im Grabe liegenden Totenkörper die Erwartung einer Reinkarnation, die Möglichkeit einer Wiederkehr, das mit Entsetzen empfundene Gefühl der Furcht vor dieser Möglichkeit, — seitens der Lebenden, — und die Sehnsucht nach Auferstehung und Verherrlichung, — seitens der Toten . .. Das Gespensterhafte ist also eine Abzweigung dieser mystischen Sehnsucht, welche das Zeitliche mit dem Ewigen vereinigt, zwischen Erde und Himmel vermittelt, dem Ungestalteten eine Verkörperung leiht, das Unbegreifliche greifbar macht und die