Mikó Árpád – Sinkó Katalin szerk.: Történelem-Kép, Szemelvények múlt és művészet kapcsolatáról Magyarországon (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2000/3)

GESCHICHTE - GESCHICHTSBILD - Einführung in die Ausstellung

EINFÜHRUNG IN DIE AUSSTELLUNG I. Reliquienkult Mangels persönlicher Erinnerungen kann man sich heu­te kaum mehr vergegenwärtigen, welch hohe Bedeutung den Reliquien jahrhundertelang beigemessen wurde. Sie spielten nicht nur im religiösen Leben und in der Litur­gie eine zentrale Rolle, sondern hatten auch auf das Wirt­schaftsleben einen Einfluß, denn die Kultzentren so man­cher Heiliger zogen große Mengen von Pilgern heran. Wir Ungarn haben bis heute einiges vom Glanz des üppig blühenden Reliquienkultes der Barockzeit be­wahrt. Der Jahr für Jahr veranstaltete feierliche Umzug mit der Armreliquie des ersten, heiligen Königs von Ungarn am Sankt Stephanstag ist das Erbe einer Ge­wohnheit, die auf das Jahr 1771 zurückgeht, als diese Reliquie nach vielen historischen Wechselfällen nach Buda zurückgeholt wurde. Die jährliche Sankt-Stephans­Prozession ist für die Gläubigen nicht nur ein Anlaß zur Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch eine Demonstration für den Herrscher, der als gegenwärtig und unter uns lebend begriffen wird. Darin bestand das Wesen des Reliquienkultes schon immer, seit der Spätantike: die Reliquie verband die Er­innerung an die Vergangenheit mit der jeweiligen Ge­genwart, mit der „heiligen Anwesenheit". Der alte Ka­lender mit seiner Festordnung ist nicht zu vergleichen mit unseren Kalendern, die wir nach Ablauf des Jahres wegwerfen, denn er vertrat mit der ununterbrochenen Wiederholung der Festtage den ewigen Kreislauf der Zeit. Zu den Festen der Heiligen gehörten auch heilige Orte, Zentren des Kultes einstiger Aposteln, Märtyrer oder Ordensgründer. Dort wurden die wichtigsten Re­liquien des Heiligen bewahrt und den Besuchern durch Bilder oder Statuen die Ereignisse aus seinem Leben, die „heilige Geschichte", vor Augen geführt. Die Reliquie verband diese Welt mit dem Jenseits, die verfließende Zeit mit der heiligen Zeit, also mit der Heilsgeschichte. Reliquienkult und Kunst waren schon immer eng mit­einander verbunden. Für die Reliquien verfertigte man außerordentlich wertvolle Fassungen, Reliquiare; mit Hilfe von Bildern und Statuen nahmen die Heiligen, die in der Ewigkeit lebten, auch symbolisch Gestalt an. Die Reliquie eines Heiligen unterscheidet sich wesentlich von seinem Bildnis. Erstere gewährleistet seine Anwe­senheit, mit einem lateinischen Wort seine praesentia, letzere ist hingegen bloß seine Darstellung. Die Reliquie gehört der zeitlosen Ewigkeit an, das Bildnis sichert dem Heiligen eine symbolische Anwesenheit in der Zeit. Die hier ausgestellten Reliquien - Bilder und figürli­che Goldschmiedearbeiten - illustrieren diesen Kult vom Spätmittelalter über die Barockzeit bis zum ausgehen­den 19. Jahrhundert. Wir haben nur symbolisch einige Stücke ausgewählt, weil manche von ihnen im Lauf der Geschichte eine symbolische Rolle angenommen hatten. So die drei barocken Kopfreliquiare der drei heiligge­sprochenen ungarischen Könige, die das Ungarische Nationalmuseum nach Auflösung der Österreichisch­Ungarischen Monarchie durch das Abkommen von Ve­nedig aus den Wiener kaiserlichen Sammlungen erhal­ten hat. Die berühmte Herme aus Trentschin (heute Trencin, Slowakei) - vielleicht das Kopfreliquiar des heiligen Kö­nigs Ladislaus - kam Ende des vorigen Jahrhunderts als Bildnisbüste des Magnaten Máté Csák in das Ungarische Nationalmuseum. Aus der Reliquiensammlung der Je­suiten von Trentschin stammen die feingearbeiteten Rokokoreliquiare des heiligen Königs Stephan und des heiligen Prinzen Emmerich mit den Bildnissen dieser Heiligen, die hier, in dieser Ausstellung wieder mit dem mittelalterlichen Hausaltärchen aus Trentschin zusam­mentreffen, in dessen Rahmen - ebenfalls im 18. Jahr­hundert - die Reliquien der wichtigsten Jesuitenheiligen eingefügt wurden. Außer den Reliquiaren ungarischer Heiliger wählten wir einige der wichtigsten Beispiele für den allgemeinen Reliquienkult. Die Reliquien, die mit der Person Christi zusammenhängen - Partikeln aus dem Heiligen Kreuz oder aus der Krippe - erfreuten sich wie überall in Europa auch in Ungarn seit der Spätantike bis in unsere Zeit großer Beliebtheit. Die Rolle der Reli­quien in der Strukturierung der Zeit, in der Prägung des Alltags und der Verkörperung der heiligen Gegenwart, könnte kaum besser charakterisiert werden als durch die Vorstellung eines Reliquienkalenders, in dem jeder Tag durch eine winzige Reliquie angezeigt wird. Diese Betrachtung der Vergangenheit, die sich in den Reliquien und den damit verbundenen Bildern Gestalt

Next

/
Thumbnails
Contents