Veszprémi Nóra - Jávor Anna - Advisory - Szücs György szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve 2005-2007. 25/10 (MNG Budapest 2008)

STUDIES - Miklós MOJZER: Der historische Meister MS sive Marten Swarcz seu Martinus Niger alias Marcin Czarny, der Maler des Krakauer Hochaltars von Veit Stoß II. Teil. Krakau und Nürnberg im Jahr 1477 und davor

Punkt, an dem die Zwickauer Tafeln mit den humanistischen Hie­roglyphen, den Dekorationsszenen der Triumphzüge und den Blättern Meckenems als historisierende Werke zusammentreffen: Mantegnas Triumphzug Casars und Dürers Triumphpforte für Kaiser Maximilian sind in „metaphysischen Höhen" identisch. 20 Bei aller bezaubernden Leichtigkeit ist das Blatt L. 620 streng konstruiert und von einer eigenartigen Symmetrie gekennzeich­net. Auf den ersten Blick scheint das Blatt um die vertikale Mit­telachse symmetrisch zu sein und wirkt auch horizontal ähnlich ausgeglichen. Ranken und Blätter bewegen sich in den gleichen Bogen und Schlingen seitenverkehrt. Ihrer Symmetrie liegt eine eigenartige Eurhythmie, beinahe eine Tanzordnung zugrunde. Mit Ausnahme der abgerissenen oder abgeschnittenen Enden der ge­raden Äste werden die Tanzbewegungen der botanisierten For­men nirgendwo unterbrochen. Das geschnörkelte Gefalle scheint in einem geschlossenen System hier - wie auf dem Blatt Quer­fíillung mit Liebespaar (L. 619) - unendlich zu sein. Auf Blatt L. 620 windet sich die Masse von Blätterranken umeinander und an den Rändern um den dreifachen Stabrahmen, über den das ganze gespannt ist. Nur die äußerste Stabumfassung ist künstlich, also in rechtem Winkel zusammengefügt. Aber auch dort läuft der Blät­tertanz über. In diesem übertriebenen Geflecht zeigt sich der sym­metrische, aber gekünstelte Parallelität bedeutende Ernst des Ganzen. Die großen Blätterbuchstaben übertreten mit ihren Ran­ken an jeder Seite zweimal den äußeren Rahmen. Links oben der Schopf der Initiale J und rechts oben der aufgehängte Schnörkel des L, rechts die beiden geschnörkelt ausgestreckten Beine des M; unten wieder der große Haken der Initiale J, und derselbe Haken schlängelt sich noch um den linken senkrechten Rahmen­stab. Die Übertretungen der Buchstaben liegen an den entgegen­gesetzten Seiten genau einander gegenüber, jeweils bei deren erstem Viertel. Die ganze Länge ist in jeder Richtung genau hal­biert, horizontal durch doppelte Schlingen, vertikal durch je eine Schlinge, die alle nach innen schauen. Zwei Buchstaben-Ausbuchtungen wurden an diesem Blatt bis­lang nicht erwähnt, weil sie ohne Kenntnis des obigen „Systems" nicht gesucht wurden, obwohl auch diese an ihrer richtigen Stelle sind. Zum einen das kleine v, das rechts, bei einem Viertel des un­teren Randes aus den Schnörkeln des M herauswächst und vom stilisierten M, also von der Seite her zu sehen ist. 21 Darüber bzw. daneben befinden sich die beiden kämpfenden Hähne mit einem Stück unbeschrifteten Spruchband. Die andere gesuchte Buchsta­ben-Ausbuchtung ist das f, das links oben um den geschlossenen Stabrahmen geschlungen, sich nach unten windet. Diese hat logi­scherweise keine Verbindung zum erwähnten Schopf der J-Initiale und geht nicht davon aus. Das ist ein selbständiges Buchstabzei­chen in der Bedeutung fecit? 1 Dadurch wird die Haupt- und Zier­schrift auf diesem Blatt zu einem Werk, zu einer Schöpfung, also expressis Uteris za einem opus. Israhel erblickt in seinem von Gott erworbenen Namen sein schöpferisches Schicksal. Der neue „Name" ist das Werk selbst. Dieses Blatt muß nämlich nicht nur als Bild, sondern gleich­zeitig im Sinne der Person, der Schrift und des Bildes „gelesen" werden. Es sei nachdrücklich daran erinnert: Dieser veredelte Akanthus, der antike Vorstellungen variiert, ist bei all seiner Gc­künsteltheit klar im Raum gegliedert. Den drei Zonen entsprechen drei Persönlichkeits-Abstufungen und drei Buchstabentypen. Und zwar zugleich, denn diese Zonen sind nicht nur einzeln geschich­tet, sondern spielen auch ineinander über. Nach einem klaren Sy­stem: Oben, nahe beim Rahmen, etwa in der Mitte, befindet sich ein unpersönlicher Hinweis, beinahe eine technische Anleitung (in lateinischen Antiqualettern, die fälschlich als zum Künstler­monogramm gehörig verstanden wurden): M V heißt hier ME­MENTO VERBORUM (Gedenket der Worte - nämlich des Herrn) 23 und macht auf den göttlichen Ursprung des Textes auf dem Spruchband (und damit auch auf den Gott mit dem unaussprech­baren Namen) aufmerksam. Der erste Ausspruch des Bündnisses zwischen dem Herrn und dem Volk Israel (in der Formulierung des Überbringers der Botschaft) steht auf einem Spruchband, das oben zweifach um den Rahmen geschlungen ist. Der erste Satz der Namensgebung durch Änderung des alten Namens hängt wie von den Armen einer Waage vor dem dunklen Hintergrund herab. Die Form der Buchstaben ist die gotische Minuskel. In der Mitte (vorne!) ist das Wort SED hervorgehoben, gleichsam als Zunge der Waage, denn es spielt in der Bedeutung von SONDERN die wichtige Rolle der Umkehr. Vom Betrachter aus links (ad sinist­ram) steht der alte Name und somit die Vergangenheit: non ultra Jacob nomen tuum erit (nicht mehr Jakob wird man dich nennen) - das erit steht etwas hinter dem SED, dem SONDERN -, rechts davon, auf der Seite der Zukunft, heißt es weiter: Israhel vocabe­ris (wirst Israel genannt): in Zukunft, schriftlich, von nun an (der Auserwählte wird durch den Namenswechsel zum Patriarchen). Ein Mensch kann nicht so selbstvergessen sein, daß er sich dar­über selbstlos und ungetrübt freuen könnte. In den verklärten Blät­terranken jubeln deshalb ausschließlich Vögel, nimmt man auch die kämpfenden Hähne hinzu, dann achtzehn an der Zahl. Da­durch wird in dieser merkwürdigen Epigraphie auch das Bildver­bot des mosaischen Gesetzes eingehalten. Der neue Name wird hier auf den universalen, frühlingshaften Garten Eden der Heili­gen Schrift projiziert. Der nicht darstellbare göttliche Ruhm geht hier in ein geordnetes Menschenwerk über. Da es im Bild nicht möglich ist, wird es schriftlich aufgezeigt, bild-los lesbar gemacht, indem das Memento halb versteckt bleibt. Die Buchstaben des Haupttextes werden im Gegensatz zum Blattwerk nicht durch Blumen und Blätter gekreuzt oder verdeckt, aber die Versalien, die vereint lesbar werden, können und müssen im Rankenwerk gesucht und gefunden werden. Es ist der Name selbst, durch den der Künstler, das Geschöpf, zum Leben erweckt wird (diese ge­zierte und geheimnisvolle Schrift - f Israel v M - ist gestreckte Fraktur). 24 Das „Opus" ist also vom Augenblick seiner Entstehung an zu entdecken. Wegen seines überzeitlichen Bezugs zählt es zur Ver­herrlichung des Herrn. Diese Komposition ist wie ein Responso­rium angelegt: Wenn man so will, ist Kunstschöpfüng die Antwort auf das Bündnis, auf die Verkündigung durch den göttlichen Boten - und auf den Aufruf da gloriam deo (verherrliche den Herrn). Dies steht bereits in der unteren Bildzone des Blattes in ge­schlängelten Blumenranken. Es ist eine Mahnung zum Abschied (noch einmal zum Abschluß gotische Minuskeln). 25 Der Mensch ist im Sinne der obigen Kalligraphie ein „Opus" seines Schöp­fers, der seinen Bruchteil an Glorie seinem Herrn zurückerstatten muß. Der Stecher gestaltete dieses Rankengeflecht entsprechend der Technik des Korbflechtens, aber die Schlingen, die in das Bildfeld hineinreichen, werden nur oben und unten in der Mitte in die Ge­staltung der Buchstaben einbezogen, wodurch noch eine Bedeu­tungsebene entsteht. Der Eindruck, daß die obere doppelte Schlinge (Astknote) wie ein a - A(lpha) - und die untere mit ihren

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