Nagy Ildikó szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve 1980-1988 (MNG Budapest, 1989)

R. Várkonyi, Ágnes: VARIATIONEN ÜBER DIE UNGARISCHE GESCHICHTE: DIE BILDER DER AUSSTELLUNG. UNGAR 1526-1790

R. VÁRKONYI, ÁGNES VARIATIONEN UBER DIE UNGARISCHE GESCHICHTE: DIE BILDER DER AUSSTELLUNG UNGARN 1526—1790 Historischer Überblick zur Ausstellung in der Ungarischen Nationalgalerie „Ahnengalerien des Hochadels und Familienporträts". 18. 3. 1988—21. 8. 1988. EINLEITUNG PERSÖNLICHKEIT UND GESCHICHTE Die Wechselwirkung von Persönlichkeit und Geschichte ist eine Frage von allgemeiner Gültigkeit, sie kann nicht in Landesgrenzen, sprachliche Barrieren, nationale, kulturelle und gesellschaftliche Trennungsmauern eingezwängt werden. Sie wird unablässig ausgesprochen, jederzeit, seit die Menschheit über ihre Vergangenheit nachdenkt. Vom Altertum bis in unsere Tage streiten die Philosophen, inwieweit die Menschen Geschichte machen und inwieweit das Individuum von seiner Geschichte geformt wird. Romanciers und Historiker wetteifern miteinander zu ergründen, was die entscheidenden Augenblicke des Aufeinanderwirkens von Handeln und objektiven Umständen besser erhellen kann, die Phantasie oder die Dokumente. Worin ist die Verantwortung der Entscheidungsträger verborgen? Wie weit erstreckt sich die Entscheidungsfreiheit der Menschen? Innerhalb welcher Grenzen werden Qualität und Sinn des Lebens, wird das geistige Antlitz der Gesellschaft von den Möglichkeiten und zwangsläufigen Bahnen der Herkunft geprägt? So wird heute die Frage in jedem beliebigen Land gestellt, wenn die Aristokraten vergangener Jahrhunderte, die Angehörigen der gesellschaftlichen Elite im Zusammenhang mit ihrer Nationalgeschichte betrachtet werden. In der Ausstellung ,,Ahnengalerien des Hochadels und Familienporträts" blickt uns die tausendjährige Vergangenheit Ungarns entgegen. Unter den Auftraggebern der Bilder ist die erste bekannte Persönlichkeit der Palatin Tamás Baron Nádasdy, der noch Ende des Mittelalters, 1498, geboren wurde. Der letzte Auftraggeber, der Minister für Kultur und Unterricht Albin Graf Csáky starb schon in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, an der Schwelle des Ersten Weltkrieges, im heraufkommenden Schatten von Trianon-Ungarn. Wann auch immer sie aber gelebt haben, ihre Familientraditionen führten sie häufig in die frühen Jahrhunderte des Mittelalters, in die Zeit der Landnahme zurück. Das 16. bis 18. Jahrhundert, in dem die Mehrheit der Bilder entstand, war die komplizierteste Zeit der ungarischen Geschichte. Es ist nicht leicht, sie zu durchwandern. Doch kann das Ensemble der Bilder bei diesem Versuch als gute Landkarte dienen. Dabei kam das hier zu sehende Heer von Persönlichkeiten nicht aufgrund im voraus geplanter historischer Gesichtspunkte zustande. Es war der Zufall der Entwicklung der Landesgeschichte, der bestimmte, wer hierherkam. Von ihren ursprünglichen Ausstellungsorten wurden die Bilder durch die Veränderungen der Jahrhunderte entfernt. Was aus den Sälen von Schlössern, aus Siebenbürger Adelssitzen, aus den Stadtpalais von Kaschau, Leutschau, Eperjes, Preßburg und Wien aus familiärer Pietät, aus Verantwortungsbewußtsein für die Wahrung der Werte und was durch pures Glück in die Sammlung des Nationalmuseums hinübergerettet wurde, war in der Tat ein Werk des Zufalls. Auch ihr ästhetischer Wert ist unterschiedlich. Über ihren Fortbestand entschied die Zeit nicht nach dem künstlerischen Niveau. 1668 wurden z. B. die Fähigkeiten eines unbekannten Meisters, der die Enkel der Mutter des siebenbürgischen Ratsherrn Mihály Teleki, der Witwe eines Burgvogtes, gemalt hatte, von dieser nicht mehr allzu hoch bewertet: ,,Das Bild der Kinder nahm ich erfreut auf, hätte aber lieber sie selbst gesehen. Der Bildschreiber ist wohl kein braver [begabter] Meister, denn er schrieb [malte] die Bilder nicht nach der Natur der Kinder." 1 Die Bilder namhafter Meister — zunächst Ausländer wie Benjamin Block, Aristide Oeconomo, Justus Sustermans und Johann Peter Krafft, später auch Ungarn wie Ádám Mányoki, József Borsos, Gyula Benczúr und László Mednyánszky — wurden vor allem aus Gewohnheit und Familientradition zusammen mit den bescheideneren Werken in der Vergangenheit unbekannter Künstler durch die Zeiten hindurch bewahrt. Im zufällig zusammengerotteten Heer im Wandel der Jahrhunderte sind sie, wenn man sie einzeln untersucht, alle jeweils anders: stärkere oder blassere, bedeutende oder eher graue Persönlichkeiten. Wenn man sie jedoch aus historischer Optik überblickt, treten sie uns in einer Kette von epochalen Ereignissen entgegen. Ihr gesellschaftlicher Stand, der Stand des Hochadels und Adels, stellte jahrhundertelang die Elite des Landes. Hohe Würdenträger Ungarns, Palatine, Landesrichter, die Inhaber des Banats, Erzbischöfe, Kanzler und Hauptkommandanten folgen einander über Generationen, ebenso die führenden Beamten der zentralen Ämter der habsburgischen Administration: die Vorsitzenden der Kammer,

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