Nagy Ildikó szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve 1980-1988 (MNG Budapest, 1989)

R. Várkonyi, Ágnes: VARIATIONEN ÜBER DIE UNGARISCHE GESCHICHTE: DIE BILDER DER AUSSTELLUNG. UNGAR 1526-1790

europäische Diplomatie kompensieren zu können. Es stellt sich jedoch heraus, daß die protestantischen Länder Habsburgs ihre Interessen nicht dergestalt koordinieren können, daß sie ihre Kräfte in einer mitteleuropäischen Konföderation vereinigen. Das Fürstentum Siebenbürgen, auf sich gestellt, ist gegen die türkische Ubermacht wehrlos: Konstantinopel würde eine Vereinigung des ungarischen Königreichs und Siebenbürgens unter der Herrschaft des Fürsten nur dann annehmen, wenn Ungarn völlig zu seinem Vasallen würde. Dies kann jedoch weder vom Königreich noch von Siebenbürgen akzeptiert werden, denn damit wäre das Land aus der Gemeinschaft des christlichen Europa herausgerissen. 31 Zu Anfang des 17. Jahrhunderts sind einige der alten Hochadelsfamilien ausgestorben. Unter den markantesten Persönlichkeiten der Aristokratie treten begabte Söhne aus Familien des niederen Adels auf: zwei Palatine. Miklós Esterházy und Ferenc Wesselényi, stammen aus dem niederen Adel. Ein Sproß einer (reformierten) niederen Adelsfamilie ist auch der höchste kirchliche Würdenträger des Landes, Erzbischof Péter Pázmány. 32 Die ganz Europa erschütternde Krise, die aus den zerstobenen Hoffnungen auf die Reformation und aus der inneren Erneuerung der katholischen Kirche resultierte, hatte für die ungarische Gesellschaft eine besonders schwere Erschütterung zur Folge. Für die ungarische Gesellschaft brachte die Reformation nicht die verhießene innere Ruhe mit sich. Vergeblich bekannte man sich zum neuen Glauben, Gott wandte seine strafende Geißel nicht von den Menschen, das Land konnte sich von der türkischen Eroberung nicht befreien. Die Menschen wurden nicht besser, das Leben wurde nicht leichter und die Protestanten konnten gegen die Türken kein aktives Programm vorlegen. Der Hochadel erkannte schon Anfang des 17. Jahrhunderts, daß er im Machtbereich des Habsburgerreiches, wenn er die Institutionen der Staatsgewalt Ungarns behalten wollte, zum Katholizismus konvertieren mußte. Zwar beruhte in Ungarn der religiöse Pluralismus auf verfassungsmäßigen Garantien, zahlreiche Umstände zogen aber die Familien des Hochadels zur katholischen Kirche hin. Dazu gehörte unter anderem das großangelegte Programm des Papsttums zur Katholisierung der Bevölkerung der türkischen Gebiete (1622 Congregatio de Propaganda Fide). Die niveauvollen Schulen der Jesuiten bereiteten die Jugend des Hochadels auf das politische Geschäft besser vor als die alten Schulen. 33 Die Regierung von Ferdinand III., Kaiser und König von Ungarn, startete eine Reihe von Aktionen, um die Einheit des Reiches durch Katholisierung herzustellen, in der Annahme, nach der Schlacht vom Weißen Berg sei von den Protestanten keine Loyalität zu erwarten. 34 Da die europäische Agrarkrise und der permanente Arbeitskräftemangel in Ungarn auch in der Meiereiwirtschaft der gutsherrlichen Eigenwirtschaft zu Schwierigkeiten führte, versuchte man auf den Gütern des Hochadels andere Methoden anzuwenden. Auf ihren Gütern richteten die Adeligen Industriebetriebe ein: Eisenhütten wie die Zrínyi und die Wesselényi. Glashütten und Papiermühlen wie die Pálffy, Rákóczi und später die Károlyi. Die Familien Csáky, Bethlen, Zichy, vor allem aber die Nádasdy erschlossen Kupferminen, bauten Sägemühlen und Ziegelbrennereien, um ihre Einkünfte zu erhöhen. Den Nutzen aus dem Handel wollten sie mit neuen Methoden, neuen Gesellschaftsformen vergrößern, wie z.B. die Zrínyi im Salz- Holz- und Majolikahandel, und die Batthyány. Nádasdy und Lippay im Viehhandel. Sie arbeiteten mit zahlreichen Aristokraten in Mähren und der Steiermark, mit Unternehmern aus Italien und den deutschen Fürstentümern zusammen, 33 während sie mit anderen, an Handelsunternehmungen ebenfalls interessierten Angehörigen des Hochadels heftige Kollisionen hatten. So gerieten zum Beispiel die vom Hafen Buccari (Bakar) aus mit Venedig Handel treibenden Zrínyi in den 50er Jahren des 17. Jahr­hunderts in schwere Interessengegensätze mit dem am Hafenhandel von Triest interessierten Fürsten Porcia, dem Präsidenten des Hofrates. Industrie und Handel des Hochadels haben an den grundlegenden Verhältnissen in wirtschaftlicher Hinsicht freilich nichts verändert; infolge des entscheidenden Übergewichts der Agrarproduktion war das Land bei Industrieartikeln und Stoffen auf die Einfuhr angewiesen. 36 In der Lebensform hingegen brachten die neuen Anforderungen und Möglichkeiten eine auffallende Veränderung mit sich. Das Hauptziel des ungarischen Hochadels in den Jahren des Dreißigjährigen Krieges bestand darin, den Spielraum der ungarischen Politik im In- und Ausland zu erweitern. Sie ließen, geleitet von ihren Repräsentationsansprüchen, ihre Schlößer umbauen. 37 Die antike Szenen darstellenden venezianischen, französischen und belgischen Tapeten, an den Wänden der ,,kristallverglasten" Säle, die Fresken, die von den Türkenkämpfen der Ahnen kündeten, die Gemälde, die die Vornehmheit betonten, 38 sollten dokumentieren, daß die ungarischen Herren den Vergleich mit den Aristokraten am Wiener Hof und in den westlichen Ländern Europas nicht zu scheuen hatten. Im Schloß Esterházy zu Eisenstadl nahm der spanische Gesandte 39 mit Gefolge Quartier, in der Preßburger Residenz von Erzbischof Péter Pázmány hielt Wallenstein eine Beratung ab. Jener holländische Reisende, der in Csáktornya die Bibliothek und die Fresken Zrínyis bewundert hatte; die kaiserlichen Offiziere und die päpstlichen Gesandten, die sich in den Palästen der Nádasdy tummelten; sie alle konnten die Erfahrung einer in den türkischen Grenzgebieten blühenden europäischen Kultur mit nach Hause nehmen. 4 " Dieser Hochadel las die Werke von Machiavelli, Bodin, Grotius und Lipsius, und gierig beschafften sie sich die italienischen, deutschen und französischen Flugblätter und die Historien, die die jüngsten Ereignisse in England, Belgien und Frankreich zusammenfaßten, denn es war für sie von existentieller Wichtigkeit, gut informiert zu sein und mit Europa Schritt zu halten. 41 Die Familien Nádasdy, Zrínyi, Esterházy, später Erdödy und Pálffy kauften in Wien Paläste oder ließen welche bauen. Sie gingen in der Burg aus und ein. wurden aber zu keinen höfischen Aristokraten. László Rákóczi etwa wurde am kaiserlichen Hof erzogen, begleitete die Familie Habsburg auch nach Spanien, ließ sich aber dennoch in Ungarn nieder. Ihre mit Springbrunnen und seltenen Pflanzen verzierten Gärten, die verglasten Kutschen, die ihrem Mäzenatentum zu verdankenden Bücher, unter ihren Gebrauchsgegenständen die Fernrohre, Landkarten, englischen Uhren, auf ihren Tischen die künstlerischen Schmiedearbeiten, die Porzellan- und Glasgefäße zeigen alle, daß ihre Mentalität von Geschmack, von der Ratio und von Anspruch auf Luxus durchdrungen war. In ihren die Wirtschaft betreffenden Weisungen sprechen sie nachdrücklich aus, daß die Leibeigenen, wenn man sie benützen will, auch geschützt werden müßten, und daß es die höchste Pflicht ihrer Vögte sei, ,,aus allem Geld zu machen".

Next

/
Thumbnails
Contents