Technikatörténeti szemle 19. (1992)

KÖNYVISMERTETÉS - Papers of the First „MINERALKONTOR” International Conference on the History of Chemistry and Chemical Industry (Veszprém, 12-16 August, 1991)

Dabei begnügte sich Ostwald keinesfalls mit theoretischen Reflexionen. Im Gegenteü, er zeigt ein tiefes Verständnis für die enge Verknüpfung von Wissen­schaft und Praxis. Im Jahre 1909 schrieb er: „Eine Wissenschaft um ihrer selbst willen gibt es nicht... sondern die Wissenschaft ist um menschlicher Zwecke wil­len da..." (9, S. 69). Diese Aussage darf auch nicht als Praktizismus interpretiert werden. Ostwald erkennt und propagiert sehr wohl die Notwendigkeit des theo­retischen Verlaufs, wie er durch die Grundlagenforschung geschaffen wird. Warum nun widmete Ostwald der Organisation so viel Aufmerksamkeit? Nicht zuletzt bei seinen eigenen wissenschaftlichen Arbeiten hatte er wiederholt erfah­ren müssen, daß das menschliche Arbeitsvermögen begrenzt ist. Wenn es gelingt, das Wesentliche von Sekundären zu trennen, ist eine Steigerung der schöpferi­schen Leistung möglich. Zu Ostwalds Zeiten wurde wissenschaftliche Arbeit fast ausschließich in fachbezogener Einzelarbeit geleistet. Gruppenarbeit, etwa sogar mit interdisziplinären Charakter, wie wir sie heute kennen, war noch die Aus­nahme. Dagegen gab es Beispiele für die erfolgreiche Integration in wissenschaft­lichen Schulen, wo ein aktiver Kopf (leader) eine Anzahl von zumeist jüngeren Mitarbeitern um sich vereinigte und zu hohen wissenschaftlichen Leistungen zu stimulieren verstand. Da die Funktion einer solchen wissenschaftlichen Schule mit der Person des Leiters steht und fäUt, suchte Ostwald nach personenunab­hängigen Prinzipien, nach denen sich möglichst ganze Wissenschaftsgebiete prak­tikabel organisieren lassen sollten. Notwendige Voraussetzung dazu war die Weiterentwicklung der Organisation von einer Kunst zur Technik: „Das Organisieren ist zur Zeit (1913) eben doch noch eine Kunst, welche nicht nach Regeln und vermöge einer bestimmten Methode getrieben wird, son­dern die auf einer vielfach unbewußten geistigen Tätigkeit, die man Inspiration, Instinkt oder ähnlich nennt, beruht..." (10, S. 16). Ein für Ostwald interessanter Untersuchungsgegenstand war sein Fachgebiet, die Chemie. Gerade diese Wissenschaftsdisziplin hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen enormen Aufschwung erfahren. Neue chemische Institu­te, eine praktikumsorientierte chemische Ausbildung und eine zügige Überführung neuer Erkenntnisse in die chemische Industrie sind wesentliche Kennzeichen für diese Entwicklung (11). Bis 1910 war die Zahl der bekannten chemischen Ver­bindungen auf etwa 100.000 angewachsen (12). Die chemische Produktion hatte insbesondere durch die Erfolge der Teerfar­benindustrie und durch verfahrenstechnische Optimierungen einen bis dahin nicht gekannten Aufschwung erfahren (13). Der Zunahme des Wissens folgte ein adäquater Anstieg des Umfanges der chemischen Literatur. Konnten in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, wie das Beispiel der .Jahresberichte der Chemie..." von Berzelius zeigt, noch die ge­samten wissenschaftlichen Leistungen eines Jahres in systematischer Ordnung publiziert und in die Gesamtentwicklung der Chemie eingebunden werden, war dies zu Beginn des 20. Jarhunderts nicht mehr möglich (14). Als neuartiger Typ des Multiplikators des Wissens war das Referateorgen entwickelt worden (15), wie beispielsweise das „Chemische Zentralblatt" in Deutschland (ab 1856) und die „Chemical Abstracts" in den USA (ab 1907). Neuerungen gab es auch in den Organisationsformen der Wissenschaften. So wurde im Jahre 1911 in Paris die „Internationale Assoziation der chemischen

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