Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)

TISCHER, Anuschka: Die Bellegarde-Akten im Historischen Staatsarchiv Lettlands in Riga: Quellen zur transnationalen Geschichte einer savoyisch-österreichischen Adelsfamilie und ihres Umfelds vom 15. bis zum 20. Jahrhundert

für ihre Herkunft in Betracht: Entweder stammen die Akten aus einem anderen Bestand des Historischen Staatsarchivs Lettlands und wurden später dem Bestand 1 100 zugeschlagen oder aber die Akten gerieten zwischen 1919 und den 1960-er Jahren in Deutschland in das Kurländische Landesarchiv. Auffällig ist in diesem Zusammenhang das Schicksal eines anderen großen Bestandes im Historischen Staatsarchiv Lettlands, nämlich des Archivs der kurländischen Herzoge, welches den anderen großen Bestand zur kurländischen Geschichte darstellt. Dieser Bestand wurde ebenfalls zeitweilig aus Lettland ausgeführt, allerdings bereits 1909 nach Russland, und kehrte dann 1929, als das Kurländische Landesarchiv sich schon in Deutschland befand, zurück. Während des Zweiten Weltkrieges wurde es allerdings erneut ausgelagert und kehrte nach dem Krieg nur noch bruchstückhaft zurück, ein Anzeichen, dass das Archivgut während dieser Auslagerung verschiedenem Unbill ausgesetzt gewesen sein muss. In diesem Zusammenhang ist nun interessant, dass das Archiv der kurländischen Herzoge sich am Ende des Krieges in Troppau (Opava) befand, also in unmittelbarer Nähe zu Groß-Herrlitz. Denkbar ist also, dass das Archiv der Familie Bellegarde, nachdem die letzten Familienmitglieder Groß- Herrlitz verlassen hatten, in den Wirren bei Ende des Zweiten Weltkrieges in das ausgelagerte Archiv der kurländischen Herzoge geriet, mit diesem nach 1945 nach Riga transportiert wurde und, als Ende der 60er Jahre das Kurländische Landesarchiv ebenfalls nach Riga zurückgekehrt war, diesem zugeordnet wurden in der Annahme, es müsse sich bei den Bellegarde um eine kurländische Adelsfamilie handeln. So schlüssig diese Theorie auch ist, darf man natürlich nicht außer Acht lassen, dass auch andere Hypothesen denkbar sind. Angesichts der verschiedenen Zweige der Familie, ihrer zahlreichen verwandtschaftlichen Beziehungen und des abrupten Endes der Familiengeschichte im 20. Jahrhundert, könnte das Familienarchiv durchaus noch zwischen 1937, dem Jahr des in ihm überlieferten jüngsten Stückes, und 1939, dem Jahr der Umsiedlung der deutschstämmigen Familien aus Lettland in Folge des Hitler-Stalin-Pakts, durch Heirat, Erbschaft oder andere familiäre Umstände nach Lettland gelangt sein. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass eine Sophie von Bellegarde, geborene Fürstin Urussowa, von 1879 bis zu ihrer Enteignung 1920 Besitzerin des Gutes Winkelmannshof im Kirchspiel Ascheraden (Aizkraukle) war.49 Angesichts ihrer russischen Herkunft ist zwar wahrscheinlich, dass es sich bei dieser um eine der zahlreichen russischen Bellegarde (Bel’gard) handelt, doch inwieweit diese wiederum mit den österreichischen Bellegarde verflochten sind, ist ungewiss. Die Karriere der russischen Bellegarde beginnt im 19. Jahrhundert und umfasst mehrere prominent gewordene Personen, doch ihr Ursprung liegt in ähnlichem Dunkel wie der der savoyischen Bellegarde im Die Bellegarde-Akten im Historischen Staatsarchiv Lettlands in Riga 49 Freundlicher Hinweis von Herrn Dr. Peter Wörster (Herder-Institut Marburg). Vgl. auch Baltisches Historisches Ortslexikon. Hrsg, von Hans Feldmann und Heinz von zur Mühlen, Teil II: Lettland (Südlivland und Kurland), bearb. von Hans Feldmann u. a., Wien 1990, S. 706 f. 329

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