Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)

DÖBERL, Mario: Höfisch oder privat? Die Beschaffung und Wartung von Wägen am Wiener Kaiserhof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Mario Döberl 11. Zusammenfassung Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es am Wiener Hof im Bereich der Beschaffungsweise und Wartung der kaiserlichen Equipagen zweimal zu einem Paradigmenwechsel. Bis 1820 existierte in den Hofstallungen nur eine so genannte „Flicksattlerei“, die personell schwach besetzt war und deren Aufgabenbereich allein darin lag, Fahrzeuge auf Schäden zu überprüfen und zu schmieren, Wagenkerzen auszuwechseln und ähnliche Routinetätigkeiten zu verrichten. Die Herstellung und die Reparatur der Fahrzeuge lag hingegen ganz allein in den Händen bürgerlicher Meister, die zumeist den Hoftitel trugen. Der kaiserliche Fuhrpark wurde in den Jahren vor dem Wiener Kongress durch mehrmals ergriffene Evakuierungsmaßnahmen, die im Zuge der Napoleonischen Kriege erfolgten, stark in Mitleidenschaft gezogen. Damit der Hof beim Wiener Kongress vor den ausländischen Gästen mit dem Anlass entsprechenden Equipagen glänzen konnte, erfuhr die k. k. Wagenburg in den Wochen und Monaten vor dem Großereignis eine mit großem Kostenaufwand bewältigte Erneuerung und Erweiterung. Die zahlreichen neuen Equipagen wurden, entsprechend der damals gängigen Praxis, von in Wien tätigen bürgerlichen Meistern gebaut. Im Jahr 1820 wurde das bisherige System der Fahrzeugbeschaffung grundlegend reformiert. Die Hofsattlerei wurde personell und räumlich erweitert und übernahm nun die Aufgabe, die Hoffahrzeuge herzustellen und zu reparieren. Das Oberststallmeisteramt führte mehrere Gründe für diesen Schritt an. So hätten die Hoflieferanten zu hohe Preistarife in Anschlag gebracht; weiters sei die Qualität der von ihnen verrichteten Arbeiten nur schwer zu kontrollieren und nicht zufrieden stellend, und schließlich könne mit Produkten verschiedener Hoflieferanten nur schwerlich ein einheitliches Aussehen der Hofwägen gewährleistet werden. Rund ein Jahrzehnt nach Einrichtung der erweiterten Hofsattlerei kam es zu einem erbitterten Streit um ihren Fortbestand. Während Oberststallmeister Trauttmansdorff für ihre Abschaffung plädierte, weil er meinte, das alte System der Fahrzeugbeschaffung sei kostengünstiger gewesen und die bürgerlichen Meister hätten schönere und bessere Equipagen hergestellt als die Hofsattlerei, war Grill, der Kanzleidirektor des Oberststallmeisteramtes, der Ansicht, die Hofwerkstätte hätte sich bewährt und sah deshalb keinen Grund, deren Kompetenzen einzuschränken. Kaiser Franz I. schloss sich nach Anhörung der Argumente beider Seiten der Auffassung Grills an und befahl, die Hofwägen sollten weiterhin in der Hofsattlerei gebaut werden. In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts beschuldigte Wolfgang Kaltenbrunner, der für kurze Zeit in der Hofsattlerei als Sattler tätig gewesen war, verschiedene Mitglieder des Oberststallmeisterstabes der Korruption und gab an, sie hätten die hofeigene Produktionsstätte für eigene Zwecke missbraucht. Kaltenbrunners Vorwürfe und die Stellungnahmen der Beschuldigten dazu geben tiefe Einblicke in den teilweise stark konfliktgeladenen Alltag der Hofsattlerei. 166

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