Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)
DÖBERL, Mario: Höfisch oder privat? Die Beschaffung und Wartung von Wägen am Wiener Kaiserhof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Mario Döberl 8. Die Affare Kaltenbrunner Die Wiener Hofsattlerei fand sich in den 1830er Jahren mit Korruptions- und Missbrauchsvorwürfen konfrontiert, die eine umfangreiche Aktenproduktion zur Folge hatten. Aus den rund um diese Affäre entstandenen Dokumenten lassen sich interessante Einblicke in den Alltag der Hofwerkstätte gewinnen. Beim Mann, der die Anschuldigungen vorbrachte, handelte es sich um den im Jahr 1782 in Mondsee gebürtigen, „gewesenen“ bürgerlichen Sattlermeister Wolfgang Kaltenbrunner.155 Mit schweren Schulden beladen, hatte Kaltenbrunner sein eigenes Sattlereigeschäft aufgeben müssen. Nunmehr ohne geregeltes Einkommen, versuchte er im Jahr 1827 mittels mehrerer Bittschriften eine Stelle als Handwerker in der Hofsattlerei zu erlangen. Seine ersten Bewerbungen wurden abgelehnt, da Kaltenbrunner bereits das für die Aufnahme in Hofdienste zulässige Höchstalter von vierzig Jahren überschritten hatte.156 Nach Intervention des Kaisers wurde er schließlich dennoch am 4. Februar 1828 als Aushilfs-Sattlergeselle gegen Bezug eines Taglohnes von 48 kr. C.M. aufgenommen.157 Kaltenbrunner fühlte sich an seinem neuen Arbeitsplatz aber alles andere als herzlich empfangen: Als ich lange und durch wiederholten Bitten bei Euer Majestät! um des Tageslohn in die Sattlerei angestellt wurde, so war der Befehl gegeben, wenn ich komme, mich auf den Eselplatz zu setzen, damit sich kein bürgerlicher Sattlermeister von Wien nicht mehr in die Hoffsattlerei verlangt [...].158 Laut Darstellung des Oberststallmeistamtes handelte es sich dabei um eine ganz normale Vorgehensweise. Kaltenbrunner sei nach altem Handwerkerbrauch als letzt eingetretenem Tagelöhner ein Arbeitsplatz in den hinteren Reihen zugewiesen worden. Eine Ausnahme habe für ihn nicht gemacht werden können, da er ja nicht als Sattlermeister, sondern nur als Geselle aufgenommen worden sei.159 In Folge blieb Kaltenbrunner des Öfteren seinem Arbeitsplatz fern, weil er seine früheren Geschäfte als Sattlermeister bei Gerichtsbehörden in Ordnung bringen musste.160 Da er mit dem geringen Taglohn kaum das Auslangen finden konnte,161 strebte er eine baldige Beförderung an. Als Equipagen-Inspektor Franz Holzer am 5. Oktober 1828 verstarb, machte sich Kaltenbrunner große Hoffnungen auf die 155 Oberststallmeisteramts-Kanzleidirektor Grill, Wien 1836 April 1, HHStA, OStA, C, 112, einliegend ZI. 1 234 aus 1835, unfol. 156 Ebenda. 157 Oberststallmeisteramt an Martin, Direktor des Geheimen Kabinetts, Wien 1831 März 25, HHStA, OStA, B, 51, ZI. 149 aus 1831, unfol. 158 Kaltenbrunner an Kaiser Ferdinand I, HHStA, OStA, C, 112, einliegend ZI. 1 234 aus 1835, unfol. 159 Oberststallmeisteramts-Kanzleidirektor Grill, Wien 1836 April 1, HHStA, OStA, C, 112, einliegend ZI. 1 234 aus 1835, unfol. 160 Ebenda. 161 Grill meinte: „Als bürgerlicher Sattlermeister an eine bessere Lebensweise gewohnt, konnte ihm ein Taglohn von 48 kr. C.M. nur einen sehr beschränkten Unterhalt gewähren E b e n d a . 148