Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)
DÖBERL, Mario: Höfisch oder privat? Die Beschaffung und Wartung von Wägen am Wiener Kaiserhof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
selten genügt - wenigstens unter den hohem Ständen - ein Wagen länger, als ein paar Monate, wo er in die Hände des Fiakers übergeht. Weder in Paris, noch in London, übt die Mode eine solche despotische Gewalt über die Wagen aus, wie in Wien. Alle paar Monate ist wieder eine andere da, die, wenn auch nicht immer den Bau gerade wesentlich abändemd, doch stets so sinnreich erdacht ist, daß der Equipagenbesitzer, der auf Geschmack und Eleganz Anspruch machen will, es nicht füglich umgehen kann, einen Wagen nach der neuen Art machen zu lassen.129 Das Niveau des Wiener Wagenbaus, das bereits um 1800 eine beachtliche Höhe erreicht hatte, war seither noch weiter gestiegen.130 Absatzgebiet für heimische Höfisch oder privat? Die Beschaffung und Wartung von Wägen am Wiener Kaiserhof 1 ~9 B i c k e s : Anleitung zur Kenntnis und richtigen Beurtheilung aller Arten von Equipagen, S. 370. Bickes widmete sich eingehend den Charakteristiken der Wiener Equiapagen und sparte dabei auch nicht an Kritik: „Ein Wiener Wagen läßt sich nicht ganz unpassend mit einer schönen Theater-Decoration vergleichen. Sieht man sie von ferne, so ist man davon entzückt; betrachtet man sie aber in der Nähe, so findet man nichts als grobe Pinselstriche, die gleichsam nur willkürlich und ohne alle Kunst hingeworfen zu seyn scheinen, [...]“. Ebenda, S. 371. Im Einzelnen bemängelte der deutsche Wagenbauer die Qualität der Wiener Schmiede, Wagner- und Lackiererarbeiten. Eb enda, S. 371-374. Gleichzeitig lobte Bickes aber die außerordentliche Güte und den Geschmack der Sattlerarbeiten: „Hierin ist es, wo die Wiener ihren Triumph feiern dürfen; sie stehen darin, man darf es wohl sagen, über allen Andern, und diese ist es denn auch, die so viel dazu beiträgt, daß ihre Wagen einen so reizenden Anblick gewähren.“ Ebenda, S. 373. Bezüglich der Kurzlebigkeit der Wagenmoden stimmte auch ein österreichisches Periodikum mit Bickes überein. Der Wiener Kunst- und Gewerbsfreund schrieb im Jahr 1825 über den Wiener Wagenbau: „Die auch in Equipagen stets wechselnden Moden haben auf die Vervollkommnung derselben einen nicht unbedeutenden Einfluß und machen das Gewerbe der Sattlerey selbst sehr gewinnbringend.“ Wiener Kunst- und Gewerbsfreund, oder der neueste Wiener Geschmack in Gold- Silber- Bronce-, Eisen-, Stahl- u. a. Metall-Arbeiten, in Equipagen und Riemzeug, in Meubeln, Tapezierer-, Drechsler- und Töpfer-Arbeiten, Gläsern u. s. w. Mit Text von W. E. W. Blumenbach. Wien 1825, Heft 2, ohne S. Zu den im Wiener Biedermeier aktuellen Wagenmoden siehe Kurzel-Runtscheiner, Monica: „Wiener Wägen“. Die Kutschenbilder des Verlags Trentsensky. ln: Achse, Rad und Wagen. Beiträge zur Geschichte der Landfahrzeuge 7 (1999), S. 30-51. 130 Diese Tendenzen bestätigt zum Beispiel Stephan Edler von Keeß, der 1823 zur Arbeit der Wiener Sattler bemerkte: „Die Fabrication der Sättel und Wägen hat in der neuem Zeit in mehreren Städten der Monarchie, vorzugsweise aber in Wien, besonders seit 1807 sehr an Ausdehnung und Vollkommenheit zugenommen. Die Wandelbarkeit der Mode, die neueren Formen, die oft Nachahmung englischer und französischer Wägen oder wie es in der letztem Zeit nicht selten der Fall war, hiesige Erfindung sind, dann die obenbemerkte Vervollkommnung der Nebengewerbe hat die Wiener Wägen sehr beliebt gemacht, und man kann mit Recht behaupten, daß, wenn auch die engl, und franz. Wägen vielleicht einige, auf die den dortigen Sattlern zu Gebothe stehenden besonders guten Materialien sich gründende Vorzüge haben, die Wiener Wägen, was den Bau und überhaupt den Geschmack anbelangt, keinesweges hinter jenen zurückstehen.“ Keeß, Stephan Edler von: Beschreibung der Fabricate, welche in den Fabriken, Manufacturen und Gewerben des österreichischen Kaiserstaates erzeugt werden, Bd. 2 (Wien 1823), S. 241. Ein Qualitätssprung wurde auch an anderer Stelle registriert: „Jeder einzelne Bestandtheil ist, mit früheren Jahren, besonders vor 1810 verglichen, durch die beträchtlichen Fortschritte aller zur Vollendung eines Wagens beytragenden Gewerbe vervollkommnet worden, und mehrere Sattler Wiens zeichnen sich überdieß durch eigene bemerkenswerthe Erfindungen und Verbesserungen aus.“ Wiener Kunst- und Gewerbsfreund, Wien 1825, Heft 1, ohne S. 143