Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)

DÖBERL, Mario: Höfisch oder privat? Die Beschaffung und Wartung von Wägen am Wiener Kaiserhof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

durchgeführt, für die keine ausgebildeten Handwerker in den Hofstallungen vorhanden waren. Dazu zählten die Gürtler-, Gelbgießer-, Lackierer-, Wagentischler-, Sticker-, Posamentierer-, Krepinmacher-, Spengler-, Glaser-, Bildhauer-, Lederer- und Flechtenmacher-Arbeiten.74 Der wesentliche Unterschied zur Zeit vor der Reform bestand darin, dass jene bürgerlichen Meister, die vor 1820 am meisten verdächtigt wurden, überzogene Preise zu verlangen, und deren Arbeiten nur beschränkt kontrolliert werden konnten, entweder nicht mehr am Bau der Hofwägen beteiligt waren oder aber fertige Bestandteile des Fahrzeuges unlackiert in der Hofsattlerei abliefern mussten, wo die Gegenstände einer genauen Prüfung unterzogen werden konnten.75 Gelieferte Waren, die nicht vollständig den Vorstellungen entsprachen, wurden unbezahlt wieder an die Meister zurückgestellt.76 Die Möglichkeit der Einflussnahme bürgerlicher Handwerksmeister auf den Hofwagenbau war so entscheidend geschmälert worden. Alle Fäden liefen nun in der Hofsattlerei zusammen. Im Lauf der folgenden Monate und Jahre wurde die Hofsattlerei in personeller Hinsicht weiter ausgebaut. Gegen Ende des Jahres 1820 klagten die Innungen der bürgerlichen Schmiede und Wagner Wiens, dass, entgegen dem anfänglichen Versprechen, es würden nur zwei Schmiede und ein Wagner in die Hofsattlerei aufgenommen werden, dort nunmehr fünf Schmiede und vier Wagner beschäftigt seien; außerdem habe die Werkstätte inzwischen „fabriksmäßige“ Ausmaße angenommen.77 Bis zum Jahr 1842 wuchs die Zahl der als Taglöhner arbeitenden Handwerksgesellen auf 34 an. Davon waren acht Sattler, zehn Riemer, sechs Schmiede, drei Schlosser, fünf Wagner und zwei Schneider.78 Zählt man die fix angestellten Handwerker sowie die aus den Reihen derselben rekrutierten Wagenaufseher und den Wagenmeister hinzu, so waren damals 43 Handwerks­gesellen der Hofsattlerei zugeteilt. Die Hofwerkstätte hatte damit eine beachtliche Größe erreicht: Die Wiener Wagenfabrik von Ludwig Laurenzi, die zu den größten ihrer Branche zählte, beschäftigte im Jahr 1850 auch nicht mehr als fünfzig Arbeiter.79 Höfisch oder privat? Die Beschaffung und Wartung von Wägen am Wiener Kaiserhof 74 Siehe dazu die Angaben zu den Handwerkern, die am Bau von 78 zwischen 1824 und 1829 hergestellten Fahrzeugen beteiligt waren. HHStA, OStA, B, 39, ZI. 1862 aus 1824, unfol.; HHStA, OStA, B, 43, ZI. 3 574 aus 1826, unfol.; HHStA, OStA, B, 43, ZI. 3 575 aus 1826, unfol.; HHStA, OStA, B, 46, ZI. 160 aus 1828, unfol.; HHStA, OStA, B, 48, ZI. 457 aus 1829, unfol.; HHStA, OStA, B, 49, ZI. 3 030 aus 1829, unfol. 75 Oberststallmeisteramts-Kanzleidirektor Grill an Kaiser Franz 1., Wien 1829 September 12, HHStA, OStA, C, 83, Fasz. 19, unfol. 76 Oberststallmeister Trauttmansdorff an Kaiser Franz I., Prag 1820 Mai 20, HHStA, OStA, C, 111, ZI. 1 174 aus 1834, unfol. 77 Vorsteher der Innungen der bürgerlichen Schmied- und Wagnermeister an Kaiser Franz I., Wien 1821 Jänner 28, HHStA, OStA, B, 31, ZI. 597 aus 1821, unfol. 78 Notizen des Oberststallmeisters Wrbna, 1842 August 9, HHStA, OStA, C, 83, Fasz. 22, unfol. 79 Steinböck, Erwin: Löhner zu Land, zu Wasser und in der Luft. Die Geschichte eines industriellen Familienuntemehmens von 1823-1970. Graz 3. Aufl. 1996, S. 12. 131

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