Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 51. (2004)
GOLLER, Peter: Österreichische Staatsrechtswissenschaft um 1900. Aus Briefen Edmund Bernatziks an Georg Jellinek (1891–1903)
Österreichische Staatsrechtswissenschaft um 1900 Prazak ist auch Bernatzik der Anschauung, daß ein Verordnungsrecht nur auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung ausgeübt werden könne.“"3 Der Streit um das Verordnungsrecht führte an der Jahrhundertwende sowohl in Deutschland, wo Gerhard Anschütz Arndts Thesen bekämpfte, als auch in Österreich, wo etwa der Prager Professor Ludwig Spiegel gegen Zolger auftrat, zu einer ausufernden Debatte in den einschlägigen Fachjournalen. Bernatzik selbst unterstützte, obwohl juristisch anderer Auffassung, Zolgers Habilitation, gab aber zu verstehen, dass Zolger sich nicht wundern dürfe, dass seine Auffassung rechtspolitisch in einer Zeit, in der gerade erst die „Badenischen Sprachenverordnungen“ an den Rand eines österreichischen Bürgerkriegs geführt hatten, heftig angefehdet würden: Für Zolger war es übrigens ein großes Misgeschik, daß mit der Publikation des Buches die Publikation der Sprachenv[erordnungen] zusammenfiel; ohne dieß rein zufällige Zusammentreffen hätte man von seinen Ansichten schwerlich viel Wesens gemacht. Übrigens war der Autor bisher ein kleiner politischer Beamter, der bei allem Fleiß doch nicht den nötigen polit. Blick gehabt hat, um die Tragweite seiner Lehren zu beurteilen.113 114 Entgegen Bernatziks gelegentlicher Bemerkung - er wolle nicht mehr über „österreichische Angelegenheiten“ schreiben, tat er dies immer wieder - etwa in seiner Rektoratsrede „Über Nationale Matriken“ (Wien 1910). Bernatzik erblickte an dieser Stelle das rechtlich relevante Merkmal für die Angehörigkeit zu einer Nation „in dem individuellen Bekenntnis“.115 Ferner äußerte er sich in Presseartikeln gegen die exzessive antiparlamentarische Anwendung des Notverordnungsparagraphen („§14“).116 Im Streit mit Ungarischen Verfassungsrechtlern vertrat Bernatzik, der 1915/16 entgegen der fast zwei Jahrzehnte zurückliegenden Polemik gegen Tezner selbst in der „Österreichischen Zeitschrift für öffentliches Recht“ über die Pragmatische Sanktion schreiben sollte, eine stark einheitsstaatliche Auffassung, was Bernatzik seitens der ungarischen Kritik den Vorwurf eintrug, ein „Zentralist“ zu sein, der die rechtlichen Streitfragen aus dem .Ausgleich“ von 1867 im Sinne der einheitsstaatlichen Konzeption seines Vorgängers Wenzel Lustkandl deute, um den „Ausgleich“ nach erhofft siegreichem Weltkrieg revidieren zu können.117 113 Zolger, Johann: Österreichisches Verordnungsrecht verwaltungrechtlich dargestellt. Innsbruck 1898, S. 100 f„ 111, 124 f. 114 BaJ Juni 1900. 115 Vgl. Hauke, Franz: Die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Österreich 1909-1911. In: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 6 (1912), S. 461-480, hier S. 477. 116 Vgl. Bernatzik, Edmund: Gegen die unberechtigte Anwendung des Paragraph Vierzehn. In: Neue Freie Presse 25.12.1913 - Vgl. Sutter, Berthold: Die Badenischen Sprachenverordnungen II. Graz- Köln 1965, S. 154 f. 117 Vgl. B e r n a t z i k, Edmund: Eine Entgegnung. In: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 1 (1915/16), S. 653. 1912 hatte es Bernatzik in einem in der „Vereinigung für staatswissenschaftliche 233