Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 50. (2003) - 200 Jahre Russisches Außenministerium

RATHKOLB, Oliver: Wiederbeginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion 1956–1947 zwischen Kaltem Krieg und österreichischer Innenpolitik

zurückgezahlt werden könnte. Bezüglich der Frage des Kurierdienstes für die diplomatische Post sollte in Moskau auch eine Lösung gefunden werden. Die beiden zentralen Fragen im inhaltlichen Bereich, denen sich Waldbrunner widmen wollte, waren die Rückführung der über 130 000 österreichischen Kriegsgefangenen sowie die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen, wobei seitens Kiselews kritisiert wurde, dass es noch keinen österreichischen Handelsdelegierten in Moskau gebe; bezüglich des von der Sowjetunion beanspruchten Deutschen Eigentums in Österreich, aber auch in den Südosteuropäischen Staaten zeigte Kiselew sich jedoch weniger interessiert. Die ersten konkreten politischen Gespräche konnte Waldbrunner erst nach der Überreichung seines Einführungsschreiben an den sowjetischen Außenminister Molotow am 13. April 1946 führen, wobei sich alle Gespräche immer um die Fragen der Kriegsgefangenenrückführung, dem möglichen baldigen Abschluss des Staatsvertrages und dem Ende der alliierten Administration sowie den ökonomischen Wiederaufbau Österreichs drehten. Ähnlich waren die Gesprächsthemen beim Antrittsbesuch beim stellvertretenden Außenminister Litwinow.6 An sich hatte Waldbrunner wie bei auch allen anderen Gesprächen einen Vorteil mit seinen Sprachkenntnissen, da er, wie bereits erwähnt, bis 1937 in der Sowjetunion als Ingenieur gearbeitet hatte und dadurch über gute Russischkenntnisse verfügte. In allen Gesprächen tauchte als Rechtfertigung für die zurückhaltende sowjetische Position gegenüber Österreich seit den Nationalratswahlen 1945 immer wieder die „Nationalsozialistische Frage“ auf. So verlieh Minister Litwinow seiner Enttäuschung Ausdruck, die das Deutsche Volk bereitet hat, von dem man nach dem Sturze Hitlers eine völlig Umkehr erwartete hatte und an dem man nun feststellen müsse, dass der Faschismus im Volk selbst sehr starke Wurzeln geschlagen habe. Er meinte auch in Österreich sei dies, wenn auch nicht stark, zu bemerken.7 Während sich sowjetische Militärs und Diplomaten vor den Novemberwahlen nur am Rande mit Entnazifizierungsfragen - ganz zum Unterschied zu den kritischen Amerikanern und Briten - auseinander gesetzt hatten,8 spielte diese Frage nun plötzlich eine immer wiederkehrende wichtige Rolle. Bezüglich der Rückführung der Kriegsgefangenen, die Waldbrunner zurecht als ein ganz wichtiges gesellschaftspolitisches Thema in Österreich thematisierte, ließ sich Litwinow wie auch andere Gesprächspartner in Moskau nicht auf eine konkrete Der Wiederbeginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion 6 Nachlass Karl Waldbrunner (im Besitz seiner Witwe in Wien). Politischer Bericht ZI. 10. Pol. 46 vom 30. April 1946. 7 Ebenda. 8 Rathkolb, Oliver (Hrsg.): Gesellschaft und Politik am Beginn der Zweiten Republik: Vertrauliche Berichte der US-Militäradministration aus Österreich 1945, Wien 1985, S. 147 f. 159

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