Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften

(sich teilweise überlagernden) Identitäten im Reich aussah.,4 Diesbezüglich stellt Reinhard fest: Da es in Deutschland keine Nationalkonfession gab, sondern die konfessionelle Spaltung 1555, endgültig 1648 reichsrechtlich festgeschrieben wurde, kam es hier statt dessen zum Zusammenspiel von Territorium und Konfession [...] Zumindest in Preu­ßen und Bayern diente Konfession bis ins 19. Jahrhundert der Ausbildung eines lande­seigenen Nationalbewußtseins [...] (S. 446). Für Ostmitteleuropa sieht Schilling eine unterschiedliche Entwicklung: Nach ei­ner frühen Phase des religiös-nationalen Aufbruchs, wie z. B. in der Selbstfindung der „tschechischen natio“ im 15. Jahrhundert (S. 102), kam es erst im 19. Jahrhun­dert zum eigentlichen „nationalen Erwachen“. In diesem Kontext führt Schilling aus, dass dieser „böhmische Frühnationalismus“, ein Begriff Ferdinand Seibts, sehr wohl vom modernen Nationalismus des 19. Jahrhunderts unterschieden werden muss, was er allerdings bei der Frage der „nationalen Identitäten“ nicht tut. Europa in der frühen Neuzeit Nachdem bisher das Heilige Römische Reich im Vordergrund der Ausführungen stand, sollen nun die vorliegenden Konzepte europäischer Geschichtsschreibung näher erläutert werden. Warum überhaupt europäische Geschichte? Beide Autoren legen ihren Ansatz überzeugend dar. Für eine Frage nach der „Geschichte der Staatsgewalt“ erscheint die Antwort selbstverständlich. Wenn Europa den Staat erfunden hat, bietet sich auch die Beschreibung dieses Prozesses auf europäischer Ebene an, obwohl Reinhard als Erster einen solchen, schon seit längerem ange­mahnten Versuch unternimmt.35 Etwas anders liegt der Fall bei Gesamtdarstellungen zur europäischen Geschich­te, von denen trotz des Übergewichts an nationalstaatlicher Geschichtsschreibung eine ganze Reihe in deutscher Sprache vorliegen.14 15 16 Freilich sind diese schon relativ alt. Das zusammenwachsende Europa bietet deshalb sicherlich einen Markt für eine „europäische Geschichtsschreibung“, der von Seiten der Historikerinnen nun be­14 Schilling: Zeit, S. 394, geht nur kurz auf das Landeskirchentum der Territorien ein. Ausführli­cher ist dies bei derselbe: Nationale Identität, S. 234-251, dargelegt. Hier betont Schilling, dass „es in Deutschland nie um eine Verbindung der Konfessionalisierung mit einer National­staats-, sondern stets nur um deren Verbindung mit der Territorialstaatsbildung [ging]“ (S. 237). In dieser Hinsicht kann man nach ihm von einem „deutschen Sonderweg“ sprechen. 15 Duchhardt: Verfassungsgeschichte, S. 9. Zu den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Grundlagen der Staatsbildung siehe die mehrbändige Reihe: The Origins of the modern State in Europe 13,h to 18th Centuries, hrsg. von Wim Blockmans, Jean-Philippe Genet. Oxford-New York, 1995 ff. 16 Z. B. Mi eck, Hja: Europäische Geschichte in der frühen Neuzeit. Eine Einführung, 6. Aufl. Stuttgart-Berlin-Köln 1998. 419 M itteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen

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