Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften

dynastischen, konfessionellen oder regionalen bzw. lokalen Identitäten überlagert wurde. 2. Die sprachlich-kulturelle Identität. War das (deutschsprachige) Reich ein Kulturraum, hat es sich als solcher verstanden? Auch diese Frage kann kontrovers diskutiert werden, vor allem wenn Aussagen über den gesamten Zeitraum von 1495-1806 getroffen werden sollen. Zumindest sprachlich bildete Deutschland lange Zeit keine Einheit. Das Niederdeutsche hat bis weit ins 17. Jahrhundert auch als eigenständige Schriftsprache gedient.22 Welche Kultur hatte ein katholischer Bauer aus Tirol mit einem lutherischen Kaufmann aus Hamburg gemeinsam? La­gen für letzteren nicht die Niederlande, England oder der skandinavische Raum kulturell weitaus näher?23 Auch die höfische Kultur im Reich war lange Zeit eben keine „deutsche“ Kultur, sondern integriert in eine europaweite Adelskultur, die über lange Zeit von Frank­reich dominiert wurde. Egal wie sehr die preußische Propaganda im Siebenjährigen Krieg behauptete, Friedrich II. führe Krieg für die Erhaltung des Reichssystems, so wenig ist dies ernst zu nehmen, ebenso wie die Beteuerungen aus Wien, man kämpfe für das Beste des deutschen Vaterlands.24 Als „deutsch“ ist die Kultur die­ser Herrscher und ihrer Höfe nur sehr begrenzt zu bezeichnen. Die angeführten Einwände konnten Themen nur anreißen, sie erheben keines­wegs den Anspruch endgültiger Thesen. Es sollte hier lediglich einige Probleme aufgezeigt werden, die sich aus dem Nationenbegriff übertragen auf das neuzeitli­che Reich ergeben. Man könnte an dieser Stelle bereits ein Fazit ziehen, hätte Schmidt in seine Ar­gumentation nicht ein besonderes Kennzeichen der gesamten deutschen „Nation“ (also auch der Untertanen) beschrieben, nämlich die Existenz gemeinsamer natio­naler Werte - Recht und Freiheit: 22 Ebenso ist bei Schmidts Darstellung zu „Sprache und Nation“ Vorsicht geboten. Es ist zwar richtig, dass sich die Schriftsprache bis Ende des 18. Jahrhunderts weitestgehend vereinheitlicht hatte und auch die Anstrengungen zur Verbesserung der „deutschen Muttersprache“ im Rahmen der Sprachgesellschaften des Barock sind keineswegs zu unterschätzen, man vermisst allerdings bei Schmidt Aussagen zur „Sprachwirklichkeit“ in breiteren Gesellschaftsschichten jenseits der elitären Hochkultur. Wenn nicht einmal deren „hochdeutsche“ Schriftsprache „in moderner Weise als ,NationaIsprache‘, .Gemeinsprache', .Hochsprache' oder .Standardsprache’ “ bezeichnet wer­den kann, trifft dies umso mehr für Sprech- und Schreibsprachen der übrigen Bevölkerung zu, die sich wohl weit gehend regionaler Sprachen bedienten. Vgl. Po lenz, Peter von: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis Zur Gegenwart. Bd. 2: 17. und 18. Jahrhundert. Berlin- New York 1994, S. 200-238, Zitat, S. 200. Für die barocken Sprachgesellschaften ist darüber hin­aus hinzuzufügen, dass diese weit gehend auf das protestantische Deutschland beschränkt blieben. 23 Vgl. L u t z, Heinrich: Die deutsche Nation zu Beginn der Neuzeit. Fragen nach dem Gelingen und Scheitern deutscher Einheit im 16. Jahrhundert, ln: Historische Zeitschrift 234 (1982), S. 529- 559, hier S. 557 f. 24 Sch m i dt: Geschichte, S. 273. 415 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen

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