Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften
„Einigkeit und Recht und Freiheit“? Die „deutsche Nation“ in der frühen Neuzeit? Mit dem modernen Staat untrennbar verbunden ist die „Nation“. Dieser Begriff ist freilich wesentlich älter und wurde historisch in unterschiedlichsten Kontexten gebraucht,17 seit der Moderne wurde er allerdings mit Bedeutungsfeldern wie „Nationalstaat“ oder „Nationalismus“ aufgeladen. Seine Projektion auf frühere Jahrhunderte erscheint daher zumindest problematisch und erklärungsbedürftig. Wie oben angesprochen, versucht Georg Schmidt eine Verbindung zwischen „deutschem Staat“ und „deutscher Nation“ in der frühen Neuzeit herzustellen. Was ist nun in diesem Kontext eine Nation? Schmidt bietet zunächst folgende Definition von Nation als einer „Großgruppe, die sich als Einheit versteht, eine eigene Tradition besitzt (oder zu besitzen glaubt) und zusammenbleiben will. [...] Nationen sind fiktive und historisch gewordene Zuordnungen, die durch Herrschaftsbildungen ausgelöst wurden und denen sich der Einzelne verpflichtet fühlt“.18 Nation ist dabei an eine (fiktive) gemeinsame Vergangenheit und eine als gemeinsam empfundene kulturell-sprachliche Identität gebunden. Dabei ist ein Nationalstaat „höchstes Ziel nationalen Denkens“ (S. 29 fi). Treffen diese Charakteristika auf das („deutsche“) Reich zu? 1. Die Großgruppe. Unbezweifelbar ist, dass sich zu unterschiedlichen Zeiten in der frühen Neuzeit Individuen und Gruppen artikulierten, die auf eine gemeinsame „deutsche Kultur“, vor allem gegenüber der „welschen“ verwiesen, oder sich auf ein gemeinsames „deutsches Vaterland“ bezogen bzw. dies vehement einforderten. Sie werden bei Schmidt ausführlich referiert. Es handelt sich dabei in erster Linie um humanistische Gelehrte, Verfasser von Kriegspropaganda, barocke Dichterzirkel, Reichspublizisten und nicht zuletzt auch um die Reichsstände. Eine ausführliche methodische Diskussion dieser Quellengattungen vermisst man leider. Hier nur einige Überlegungen: Ob Dichter und Gelehrte gerade in einer Zeit eingeschränkter Öffentlichkeit und relativ geringem allgemeinen Bildungsniveau 17 Gschnitzer, Fritz -Koselleck, Reinhart - Schönemann, Bernd, Werner, Karl Ferdinand: Volk, Nation, Nationalismus, Masse, ln: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Bd. 7. Stuttgart 1992, S. 141-431. 18 Siehe dazu auch: Schulze: Staat, S. 108-126, zur Defmtiion von „Nation“, S. 110 f. Schmidt verweist zwar ebenso wie Schulze darauf, dass die Träger der politischen deutschen Nation die Reichsstände waren (Schmidt: Geschichte, S. 28 f., Schulze: Staat, S. 116), betont aber nicht wie Schulze (Ebenda, S. 146) ausdrücklich, dass „Nation“ in Hinblick auf eine sprachlich-kulturelle Identität ausschließlich in den Köpfen von Gebildeten existierte. 413 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen