Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs
Steuern, Privilegien und Konflikte ser direkt zu supplizieren und auf dem bereits erfolgten erstinstanzlichen Urteilsspruch zu bestehen. Aus welchem Grund das obersthofmarschallische Urteil so unterschiedlich zum Gutachten des Reichshofrats ausfiel, ist den Akten nicht zu entnehmen.210 211 Antijüdische Vorurteile, besonders die gesellschaftliche Stellung des Pfandleihgewerbes betreffend, mögen bei der juristischen Interpretation der Rechtslage eine Rolle gespielt haben, auch wenn dies nur selten zu belegen ist.2" Tendenzen der Rechtspraxis gegenüber Wiener Juden 1620-1640 Obwohl sich beide exemplarisch besprochenen Prozesse zeitlich überschneiden und daher dieselben rechtlichen Rahmenbedingungen galten, und es sich hierbei um Hofjuden handelt, die - wie oben beschrieben - eine gesonderte rechtliche Stellung innehatten, können dennoch einige allgemeinere Aussagen zum Verhältnis von Rechtsnorm und Rechtspraxis sowie zur Rechtsentwicklung getroffen werden. 1. Privilegien strukturierten die gesamte frühneuzeitliche Gesellschaft, so auch die jüdische Existenz. Für Inhalt und Erteilung der Privilegien war der Reichshofrat, für Privilegienverletzungen dieser gemeinsam mit dem Reichskammergericht zuständig. Bei Prozessen, die Privilegien zum Gegenstand hatten, achtete der Kaiser im besonderen Maße darauf, dass der vorgeschriebene Instanzenzug eingehalten und damit seine Reservatsrechte nicht eingeengt wurden. Dies bot vielen Juden die Chance, über den Kaiser die Durchsetzung und Wahrung ihrer Privilegien zu erreichen. 2. Das Verhältnis zum Reichsoberhaupt war grundlegend für die rechtliche Position der Wiener Juden. Diese stellten gegenüber anderen Judengemeinden im Alten Reich insofern eine Ausnahme dar, als dass sie dem Kaiser und gleichzeitigen Landesherm schon alleine räumlich sehr nahe standen. Ein direktes Eingreifen der kaiserlichen Behörden war daher leichter, auch wenn es nicht immer zu Gunsten der Juden ausfiel. Die rege Prozesstätigkeit einzelner Wiener Juden, Kritik. In: Reichshofrat und Reichskammergericht (wie Anm. 11), S. 27-46, hier S. 29-33; Ort- lieb: Reichshofrat und kaiserliche Kommissionen (wie Anm. 16), bes. S. 48-53; Sellert: Prozessgrundsätze (wie Anm. 10), S. 175-219; Derselbe: Zuständigkeitsabgrenzung (wie Anm. 14), S. 126. In dem hier behandelten Prozess wurde etwa eine Kommission von drei Reichshofräten - Karl Freiherr Fuchs von Fuchsenberg; Gschließer: Reichshofrat (wie Anm. 14), S. 212, Wolf Niklas von Grünthal; ebenda, S. 189 und der Jurist Thomas Hatzold, ebenda, S. 214 - eingesetzt, die die Prozessakten noch einmal prüfen sollte. HHStA, RHR, APA, Kart. 125, unfol., Wien, 16. März 1627, Joseph Niesser ct. Leb Brod puncto revisionis actorum (1629), Bestellung von drei Reichshofräten als Deputierte einer Kommission im Fall Niesser ct. Brod. 210 Es hing wohl damit - wie in einer Relation an den Obersthofmarschall ausgeführt wird - zusammen, ob der Darstellung Brods oder Niessers mehr Glauben geschenkt wurde. Vgl. Gerichtliche Relation an den Obersthofmarschall (wie Anm. 200). 211 Siehe Anm. 208. 193